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Böckstiegel schreibt

Ein Blick in die Korrespondenz des Künstlers

Ein Blick in die Korrespondenz

Anhand ausgewählter Briefe, Fotos und historischer Dokumente aus dem schriftlichen Nachlass können Sie nicht nur den Künstler, sondern auch den Familienmenschen Peter August Böckstiegel erleben. Die Korrespondenz ergibt insgesamt ein sehr genaues Bild des familiären Alltags. Zugleich sind die Briefe aber auch ein großartiger Kommentar zur Entstehung der Kunstwerke: Sie schildern den jeweils aktuellen Stand der Arbeiten, das Hoffen auf ein gutes Gelingen sowie weitere Pläne für Bilder und Plastiken.

Der schriftliche Nachlass der Familie Böckstiegel wurde im März / April 2007 ins Kreisarchiv Gütersloh übernommen. Der Familiennachlass umfasst die persönlichen Briefe Peter August Böckstiegels, zusammen mit zahlreichen Fotos sowie Dokumenten der privaten Lebensführung und der künstlerischen Tätigkeit. In mehrjähriger Arbeit wurden die Schriftstücke und Fotografien gesichtet, erfasst, nach Sachzusammenhängen geordnet und inhaltlich erschlossen.

Die vom Kreisarchiv Gütersloh zusammen mit dem Museum Peter August Böckstiegel erarbeitete Ausstellung präsentierte den Nachlass 2012 erstmals der Öffentlichkeit. Gezeigt wurden einzelne Facetten aus dem Leben und Wirken des Wertheraner Künstlers: seine charakteristische Art des Briefeschreibens, das Kennenlernen seiner Frau Hanna, das frühe Familienleben, die Einflüsse einer Norwegenreise auf seine Kunst sowie seine letzten Lebensjahre nach dem Zweiten Weltkrieg. Die hier vorliegende digitale Ausstellung basiert auf der 2012 konzipierten Ausstellung.

Schrift und Sprache

Rechtschreibung und Satzbau Böckstiegels stehen im umgekehrten Verhältnis zur Wahl seiner künstlerischen Mittel: Während er hier mit großer Genauigkeit vorging, handhabte er die Sprache mit einer gewissen Beliebigkeit. Punkt und Komma sind nicht immer eindeutig unterscheidbar, Satzanfänge und auch Substantive konnten durchaus klein geschrieben werden. Dieser Beliebigkeit steht andererseits eine besondere Eigenwilligkeit gegenüber, die wohl seinen künstlerischen Überzeugungen entsprach. So schrieb er z.B. künstlerisch häufig mit großem K, ebenso Adjektive wie neu oder jung: Kunst war für ihn also eine Sache der vorrangigsten Bedeutung, und er war ein Mann des neuen Stils, der jungen Generation. 

Es bestand auch immer die Gefahr, dass der Gedanke der Feder vorrauseilte. Die Idee war dann erst zur Hälfte niedergeschrieben, während der Schreiber gedanklich bereits am Ende des Satzes angelangt war – möglicherweise auch in einer inzwischen geistig vorgenommenen Änderung der Satzkonstruktion. Der Leser musste dann selbst die vorgenommene Änderung mitten im Satz deuten. Bei allen persönlichen Eigenheiten, man möchte diese Äußerungen nicht missen, sie sind ein unverzichtbarer Kommentar zum Werk.

Schrift und Sprache: Ein prägnantes Beispiel

Brief Peter August Böckstiegels an Dr. Heinrich Becker, 4. Mai 1927

" Lieber Herr Dr. Becker!
Haben Sie Dank für Ihre vorhergehenden Worte und Die vom 2.5. Ich freue mich mit Ihnen, daß der Ankauf meines Gemäldes "Meine Eltern" für die Stadt Bielefeld geschehen (ist). Ist es doch Ihr Verdienst immer; Der Glaube an meine Arbeit zu predigen nicht vergebens gewesen. Hiermit ist die Stadt gewiß nicht betrogen und Der Betrag welcher mein Lohn ist wirtschaftlich, wird Doppelte Früchte tragen. Dafür werde ich weiter mit aller Kraft arbeiten an meinem Werk.

Ich freue mich besonders, Daß es Das Gemälde "Meine Eltern" ist, welches für spätere Zeiten den Ursprung meines Schaffens immer klarer stellt dem Betrachter gegenüber [...]

Studium und Heirat

Im Wintersemester 1914 wird Böckstiegel an der Sächsischen Akademie der Bildenden Künste in Dresden Meisterschüler bei Otto Gußmann (1869-1926), zu dessen früheren Schülern Otto Dix und Max Pechstein gehörten. Er erhält ein Einzelatelier im Haus Zirkusstraße 45. In diesen Wochen lernt er Hanna, die Schwester Conrad Felixmüllers kennen. Böckstiegel und Hanna Müller (1894-1988) verloben sich und selbst der Erste Weltkrieg kann das junge Paar, verbunden durch eine intensive Korrespondenz zwischen Dresden und der Ostfront, nicht trennen.

Kurz nach seiner Rückkehr aus dem Krieg heiratet Böckstiegel im Sommer 1919 Hanna Müller. Die Heiratsurkunde bezeichnet ihn als «Kunstmaler» und Hanna als «Haustochter». Trauzeugen sind Conrad Felixmüller und seine Frau Londa. Als Hochzeitsanzeigen werden kleinformatige Holzschnitte Böckstiegels verschickt, auf denen ein stilisiertes Paar mit einer zentralen Sonne und brennendem Herzen als «Vermählte» grüßen. Bald nach der Hochzeit reist das junge Paar erstmals zusammen nach Arrode zu den Eltern und verbringt dort einige Zeit, bevor Böckstiegel wieder für wenige Monate als Meisterschüler Otto Gußmanns in Dresden arbeitet.

Wir waren berauscht von dem Glück, Maler zu sein […] Nicht zuletzt waren wir herzlich befreundet und auch verliebt. So sah ich das junge Paar.

Conrad Felixmüller über das Paar Hanna Müller und Peter August Böckstiegel

Frühes Familienleben

Die hier gezeigten Briefe und Fotografien geben einen guten Einblick in das private Leben, den Alltag der jungen Familie Böckstiegel. Sie erzählen von Weihnachtsvorbereitungen, von Schlittenpartien, vom Spielen der kleinen Sonja mit ihrer Puppenküche. Adressat war unter anderem die Familie Tietz in Arrode, zu der die Böckstiegels in diesen frühen Jahren ein besonders herzliches Verhältnis hatten, da auch eine gleichaltrige Tochter Sonjas Spielgefährtin wurde, an die sie immer Grüße übermitteln lässt.

 Sonja und Vincent Böckstiegel hatten als gemeinsamen Geburtstag den 12. Februar, 1920 und 1925. Vincents Geburt war nicht ohne Komplikationen abgelaufen, die ein Brief Böckstiegels an die Eltern in allen Einzelheiten schildert. Doch war die Freude groß! Die Fotos zeigen das Glück der jungen Mutter mit Sonja und Vincent, und das Glück der Familie bei späteren gemeinsamen Spaziergängen in der Dresdner Umgebung. Auch wenn Peter August Böckstiegel in Arrode war, galt seine ständige Sorge der in Dresden zurückgebliebenen Familie. Die Postkarte macht anschaulich, dass er auch den Kleinigkeiten des Alltags Aufmerksamkeit schenkte: Eier und Speck gehen von Westfalen nach Dresden, auch des Waschtages wird gedacht.

Ja wie schnell vergehen Tage, Wochen, Jahre, an den Tag Abend unseres ersten Treffens Denke ich mit größter Herzenstiefe, was für Glück ist uns bis heute beschieden gewesen Durch unsere gemeinsame Arbeit, möge der Stern des Glückes uns weiter hin Den Weg Des Lebens scheinen

Peter August Böckstiegel in einem Geburtstagsbrief zu Hanna Böcksiegel, 20. November 1925 

Künstlerische Einflüsse einer Norwegenreise

Im Frühsommer des Jahres 1939 begibt sich Peter August Böckstiegel auf eine Reise nach Strasburg in der Uckermark, um dort die Gattin des Apothekers und Kunstfreundes Steinmetz zu porträtieren. Briefe an Hanna und die Kinder veranschaulicht die angenehme Reise, das herzliche Willkommen und das Interesse an der pommerschen Landschaft. In die Zeit dieses Aufenthalts fällt die Nachricht Hannas aus Dresden über das kurzfristige Zustandekommen einer Norwegenreise, an der Peter August Böckstiegel mit seiner Frau auf einem «Kraft durch Freude»-Schiff teilnimmt.

Die im Anschluss entstandenen Pastelle der Fjordlandschaften sind in tiefe Blautöne getaucht. Das Pastell, das er in den Jahren ab 1939 häufiger als bisher anwendet, gibt ihm ein neues Medium mit ungeahnten Entwicklungsmöglichkeiten an die Hand. Die Kreidefarben sind in satten Strichen nebeneinandergesetzt, gar nicht oder kaum verrieben, und bilden so harte, schroffe Oberflächen. Den tiefen Eindruck, den die norwegische Landschaft auf ihn gemacht hat, schildert Böckstiegel ausführlich dem Chemnitzer Handelsvertreter und Kunstfreund Walter Protze, dem er sich freundschaftlich verbunden fühlt.

Rückkehr nach Arrode

In der Nacht vom 13. auf den 14. Februar 1945 wird während der Bombardierung Dresdens auch Böckstiegels Atelier vollständig zerstört. Das Erlebte und die Bilder von den Zerstörungen haben sich ihm tief eingeprägt. Zwei Wochen nach dem Bombenangriff verlässt er zusammen mit seiner Familie Dresden und macht sich auf den beschwerlichen Weg ins westfälische Arrode. Kisten und Koffer mit einigen vor dem Angriff ausgelagerten Zeichnungen und Aquarellen werden per Bahn aufgegeben. Die wenigsten Kunstwerke werden jedoch ihren Zielort Arrode erreichen, sie fallen vorher Plünderungen und blinder Zerstörungswut zum Opfer.

Für den Rest seines Lebens wird Arrode nun wieder Böckstiegels Hauptwohnsitz. Er schmiedet Zukunftspläne und erweitert das Wohnhaus um einen Atelieranbau. Neben der Mitarbeit in den nach 1945 neu entstehenden Künstlerbünden wie der „Westfälischen Sezession“ portraitiert Böckstiegel in den folgenden Jahren viele Flüchtlinge und Vertriebene aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten.

Ruine der Frauenkirche Dresden, 1949, Blei auf grauem Papier
Katalog der Peter August Böckstiegel-Ausstellung in den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, 1950

Letzte Ausstellung in Dresden

Im Sommer 1949 reist er zum ersten Mal wieder nach Dresden. Mit dem „Berechtigungsschein Nr. 7272“ wird ihm gestattet, „vom Grundstück Antonsplatz 1 Plastiken und Kunstgegenstände bergen zu lassen.“ Die körperlich und psychisch schwere Arbeit der Bergung der größtenteils zerstörten oder beschädigten Tonplastiken setzt Böckstiegel stark zu. Von Juni bis August 1950 findet seine erste umfassende Einzelausstellung in den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden statt, die über seinen Tod hinaus noch in weiteren Städten gezeigt wird. Am 22. März 1951 stirbt Peter August Böckstiegel in seinem Elternhaus in Arrode.

Zeitungsartikel „Das Werk zeugt für den Künstler“ in der Freien Presse vom 7.5.1951

Biographie Peter August Böckstiegels

1889 Geburt am 7. April in Arrode bei Werther

1895-1903 Besuch der Volksschule Werther. Bereits in diesen jungen Jahren entstehen erste Zeichnungen

1903-1907 Maler- und Glaserlehre in Bielefeld

1907-1913 Schüler an der Handwerker- und Kunstgewerbeschule Bielefeld

1913 Beginn des Studiums an der Königlich Sächsischen Akademie der Bildenden Künste in Dresden

1914 Böckstiegel wird Meisterschüler bei Otto Gußmann. Bekanntschaft und Verlobung mit Hanna Müller, der Schwester des Malers und Grafikers Conrad Felixmüller

1915-1919 Kriegsdienst in Russland, Rumänien und der Ukraine

1919 Im April Rückkehr vom Kriegseinsatz. Kurz darauf im Juli Heirat mit Hanna Müller

1919-1945 Ständiger Wohnsitz der Familie wird Dresden – die Sommer- und Herbstmonate verbringt Böckstiegel alljährlich in Arrode

Biographie Peter August Böckstiegels (Fortsetzung)

1920 Geburt der Tochter Sonja

1921 Auszeichnung mit dem Großen Sächsischen Staatspreis

1925 Geburt des Sohnes Vincent

1930 Auszeichnung mit dem Stipendium der Deutschen Albrecht-Dürer-Stiftung in Nürnberg

1933-1945 Böckstiegel wird während der nationalsozialistischen Diktatur zwar nicht mit einem Ausstellungsverbot belegt, findet aber nur noch selten Gelegenheit, sich an Ausstellungen zu beteiligen. 92 seiner Bilder werden 1937 in öffentlichen Sammlungen beschlagnahmt und wohl vernichtet. Dank treuer Sammler kann der Künstler sich und seine Familie wirtschaftlich über Wasser halten.

1945 Bei der Bombardierung Dresdens am 13. / 14. Februar wird das Atelier Böckstiegels mit vielen seiner Arbeiten zerstört. Arrode wird dauerhafter Wohnsitz der Familie Böckstiegel. Neubau des Ateliers

1949 Erster Besuch in Dresden nach dem Krieg mit der Erlaubnis, aus den Trümmern seines Ateliers die Reste seiner Werke zu bergen

1950 Einzelausstellung in den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden

1951 Tod Peter August Böckstiegels am 22. März