Einleitung
Der weltweite Energiebedarf nimmt stetig zu. Gerade in den westlichen Industriestaaten ist der Pro-Kopf-Verbrauch weiterhin auf hohem Niveau, in einigen Schwellenländern wie China wird er voraussichtlich auf Jahre hinaus noch weiter zunehmen. Gleichzeitig wird der Ursprung der Energie wenig hinterfragt. Vielen Verbrauchern ist nicht klar, woher der Strom, der Kraftstoff und die Wärme kommen, die sie tagtäglich beziehen. Eine der wichtigsten Stromquellen ist für Deutschland bis heute der fossile Energieträger Kohle, der aufgrund reichhaltiger Vorräte intensiv auf dem Staatsgebiet gefördert wird. Deutschland bezieht jedoch, ähnlich wie andere Industrie- und Schwellenländer, Energiequellen aus ganz verschiedenen Erdteilen. Gerade im Globalen Süden werden diese Ressourcen für den massenhaften Export abgebaut, oft mit gravierenden Folgen für Menschen und Umwelt in der Umgebung. So entstehen ganze „Energielandschaften“, deren ökologisches, territoriales und soziales Profil massiv durch die Rohstoffförderung geprägt wird. Ein Beispiel dafür sind die Regionen der Steinkohleförderung im Norden Kolumbiens. Auch Deutschland bezieht heute Steinkohle aus dieser „Energielandschaft“.
Die Kohleminen El Cerrejón und La Loma gehören zu den größten Megatagebau-Projekten Lateinamerikas. Sie befinden sich im äußersten Nordosten Kolumbiens, in den Provinzen La Guajira und Cesar. Durch eigene Infrastruktur sind sie mit Häfen an der Karibikküste verbunden. Die größte von ihnen, El Cerrejón, erstreckt sich über 69.000 Hektar durch das karge Halbwüstengebiet La Guajiras. Das entspricht in etwa der Fläche von Berlin. Für die Jahresproduktion von 30 Millionen Tonnen benötigt es Tag für Tag 30 Millionen Liter Wasser. Aufgrund ihrer gigantischen Ausmaße, aber vor allem wegen der unzureichenden Umwelt- und Menschenrechtsstandards nennen die Dorfbewohner in der Nähe die Mine nur bei ihrem Spitznamen: „Monster".
Die hier geförderte Steinkohle wird größtenteils an Industrienationen in Europa, die Türkei, Israel und nach Nord- und Mittelamerika exportiert. Diese Ausrichtung der Wirtschaft auf den Export von natürlichen Ressourcen wie der Kohle wird als "Extraktivismus" bezeichnet. Der Begriff meint die Aneignung und Ausbeutung natürlicher Ressourcen im großen Maßstab, um sie ohne (oder mit nur geringer) Verarbeitung bzw. Wertschöpfung an Industrie- und Schwellenländer zu exportieren. In geopolitischer Hinsicht ist er Ausdruck der weltweiten Arbeitsteilung zwischen den Ländern des globalen Nordens und des globalen Südens. Zu den klassischen Sektoren zählen u. a. die Förderung fossiler Energieträger (z. B. Erdöl und Kohle) und auch der monokulturelle Anbau von Sojabohnen oder Kaffee.
Das extraktivistische Wirtschaftsmodell ist vor allem im Zusammenhang mit Lateinamerika bekannt geworden. Bereits in der Kolonialzeit wurden z. B. Silber und Zucker extraktivistisch und unter Ausnutzung von afrikanischen Sklavenarbeitern für die Kolonialmächte gewonnen. Auch heute noch sind die Wirtschaften vieler lateinamerikanischen Länder vom Extraktivismus geprägt. Die extraktivistischen Aktivitäten sind in globale Handelsnetzwerke eingebettet. In den meisten Fällen sind sie Teil einer Exportstrategie, die von privaten transnationalen Unternehmen dominiert wird. Obwohl diese Konzerne den größten Teil der wirtschaftlichen Gewinne für sich vereinnahmen, sind Extraktivismen für die lateinamerikanischen Exportländer von großer wirtschaftlicher Bedeutung. Über die Lizenzgebühren und Exportzölle sind sie wichtige Einnahmequellen und werden sowohl von konservativen als auch von progressiven Regierungen gefördert.
Gleichzeitig ist diese Art des Wirtschaftens verantwortlich für eine Vielzahl negativer sozialer und ökologischer Auswirkungen. Oft wird die Aneignung der Naturressourcen, besonders im Falle des Bergbaus, mit Gewalt, Umweltzerstörung und Vertreibung der Anwohner durchgesetzt. Es sind Konflikte zwischen wirtschaftlichem Aufschwung in meist ländlich geprägten, von Armut und Arbeitslosigkeit gefährdeten Regionen und dem Bedürfnis, Landrechte zu verteidigen und die Umwelt und lokale Kultur zu erhalten. Diese Konflikte ziehen sich weltweit durch die Regionen, in denen ein extraktivistisches Wirtschaftsmodell praktiziert wird.