H[eidelberg] 11. VI[I]:
Wertester Freund:
Es soll Ihnen gemeldet werden dass ich zu morgen mir und allen Dienern der Schoenheit Glück wünsche. Dass Sie nun 30 Jahre eines überreich gesegneten Lebens eines Schaffens dem kein zeitgenössisches gleichkommt verbracht haben erscheint wie ein Glücksgeschenk dessen unsere Tage fast zu unwürdig sind. Es möge den Gewaltigen die Sie gesendet, Ihnen selber dennoch nicht verborgen bleiben, wie an vielen Orten und täglich reifer die Erkenntnis und damit die Bewunderung für Ihr Wirken ersteht. Für Ihr Wirken! Dass Sie den Deutschen eine neue Schönheit gaben, dass die tiefe Glut jenes feierliche unbändige Priesterweihegefühl des Wollens die der Spähenden Auge selbst an Goethen nicht finden konnte, dass diese auch nun der deutschen Dichtung Dom wie mit durchleuchteten Glasfenstern tief und farbig erklingen lässt: wie wollten wir des nicht gedenken! Mehr als all Ihre Gnadengaben, die der Verschmelzung von Bild und Bildung der technischen Strenge im Wählen von Klängen, der rytmischen Funde und Erleuchtungen und Ihres überreichen Reimvermögen[s]: mehr als alles dies ist für unsre Tage vielleicht anzuschlagen dass Sie in allen Ihren Werken dies Tempelhafte, dem ja nie der Lorbeer mangeln kann, aufzeigen. Denn damit treten Sie in die Reihen der Lebengebenden, der grossen Umschaffer. Sie wollen nichts wie Ihren Klangträumen die Heiligung verleihen die aus der Stimmung, dem „Naturlaute“ das Kunstwerk verklärt – und als unausbleibliche Folge Ihres reinen verehrungswerten Thuns erkennen wir heute schon – was wir vor kurzer Frist über die Wandlungen der deutschen Seele an der Jahrhundertwende lesen durften. Dass Sie uns unser Leben verehren lehrten, uns selber lieben wie der Schaffende das werdende Bild, mit Strenge und unerbittlicher Einsicht und alles ihr opfernd, der Idee aus der es erstand dafür sei Ihnen der Dank der Erhöheten gebracht. Und mit ihm mit diesem Liebesgefühl das wir Ihm weihen mag sich der Mensch, Ihre Persönlichkeit genug sein lassen. In ihm können Sie ausruhen. Der Schöpferische wird nimmer das Glück dieses Ruhens empfinden, so gewiss in ihm etwas über die irdische Form hinaus nach Offenbarung ringendes, was Göttliches sich der Kunstform bedient um Gestalt zu gewinnen, so gewiss die grossen Werke nicht in den Bann der Zeit sich zwängen, so gewiss muss der Trieb zum Göttlichen von jedem erklommnen Ziele weitertreiben. Anders Ihr Ich, das hohe Menschliche im Künstler, das im Finden der Gleichgesinnten, in ihrem Erheben den Erdengewinn empfängt, der das äusserste aller zeitlichen Güter scheint. Dass wir diesen Gewinn Ihnen Meister in stets reicheren, reineren Dankeskränzen spenden dürfen so lange uns die Oberen auf diese Erde lassen, das ist mein Flehn an Sie.
In freudiger Verehrung
Ihr K. Wolfskehl
Ich freue mich der bitte meiner Braut entsprechend ihre „Grüsse und Wünsche an den verehrten Meister“ vor Ihnen niederlegen zu dürfen.
Stellenerläuterung
Der Hinweis »was wir vor kurzer Frist über die Wandlungen der deutschen Seele an der Jahrhundertwende lesen durften« bezieht sich auf Georg Simmels »Kunstphilosophische Betrachtung«, die am 26. Februar 1898 in »Die Zukunft« erschienen war.