Die Leningrader Symphonie und ihr Komponist
Die Siebte Symphonie von Dmitri Schostakowitsch ist ein mit dem Schicksal der Stadt verbundenes Meisterwerk. Am Tag der Aufführung, dem 9. August 1942, ertönte sie nicht nur in der Leningrader Philharmonie, sondern in der ganzen Stadt. Sie wurde live im Rundfunk übertragen und war über die in der Stadt verteilten Lautsprecher noch bei den deutschen Truppen am Rande der Stadt zu hören.
Zu Beginn des Krieges wohnte Schostakowitsch in seiner Geburtsstadt Leningrad. Als führender sowjetischer Komponist, nicht von der Roten Armee eingezogen, sollte er sich der Kunst widmen (1). Seine Stadt nicht im Stich lassend, half er beim Ausheben von Gräben und bei der Feuerwache auf den Dächern der Stadt. Den anderen Teil seiner Zeit widmete er der Musik. Einige Werke komponierte er in wenigen Minuten, wie etwa die Auftragsarbeit eines Journalisten “Die furchtlosen Regimenter sind in Bewegung” (2). Die ersten Sätze der Symphonie entstehen in der belagerten Stadt, die Schostakowitsch unter Widerstand und mit schwerem Herzen im Oktober 1941 verlässt. Er wird an die Wolga nach Kuibyschew evakuiert.
Schon vor ihrer Aufführung war die Symphonie ein Symbol des Widerstands der Leningrader. Die Proben für die Aufführung fanden unter schwersten Bedingungen statt, nur 15 Musiker des Leningrader Radiosymphonieorchesters waren noch am Leben, ihr Dirigent war Karl Eliasberg. Vorgesehen sind für Schostakowitschs Werk 80 Musiker. Bereits nach Nowosibirsk evakuiert, beteiligt sich das Philharmonie-Orchester nicht an den Proben. Um genügend Musiker für das Orchester zu bekommen, suchte Eliasberg in der ganzen Stadt. Er ging in die Krankenhäuser, sogar im Radio war ein Aufruf zu hören. General Leonid Goworow ordnete für die Proben Fronturlaub an (3, 4).
Am 5. März 1942 fand die Uraufführung der Siebten Symphonie in Kuibyschew (heute: Samara) statt. Aufgeführt wurde sie vom evakuierten Orchester des Moskauer Bolschoi-Theaters. Wenige Tage später, am 29. März, fand die Moskauer Premiere statt, welche trotz eines Fliegeralarms nicht unterbrochen wurde (5, 6).
Nach Leningrad wurde die Partitur mit einem Militärflugzeug, die Luftblockade durchbrechend, zum Dirigenten Eliasberg gebracht. Er war streng und verlangte höchste Disziplin von seinen Musikern. Wer zu spät zu den Proben erschien, dem wurden die Essensrationen gestrichen. Drei Tage vor der Aufführung spielte das Orchester die Symphonie erstmalig durch, die erschöpften Musiker probten sechsmal die Woche (7, 8). Da die Konzertsaison in Leningrad erst im April begann, wurde die Symphonie dort erstmals am 9. August 1942 in der Philharmonie aufgeführt.
Eliasberg kündigte die Symphonie folgendermaßen an: “Er [Schostakowitsch] schrieb dieses bedeutende Werk [...] in den Tagen, als der Feind in Leningrad hereinbrach, als die faschistischen Schurken unsere Stadt mit Bomben und Granaten überzogen, als die Deutschen überall in Europa herumschrien, dass die Tage Leningrads gezählt seien [...]. Die Aufführung [...] zeugt vom unzerstörbaren Geist der Leningrader, ihrer Standhaftigkeit, ihrem Glauben an den Sieg, ihrer Bereitschaft, bis zum letzten Blutstropfen zu kämpfen [...]. Hören Sie, Genossen!" (9).
Vielleicht wählte Eliasberg eben diese Worte, weil die Nationalsozialisten an jenem Tag die Stadt vollständig erobern wollten. Es wurden sogar schon Einladungskarten zum Bankett im Hotel Astoria verteilt, welches während der Blockade als Krankenhaus genutzt wurde. Von sowjetischer Seite gab es den Befehl, den Beschuss durch den Feind zu verhindern. Die nur unter Soldaten bekannte Operation hieß "Schakal" (10).
Das Konzert war in Leningrad ein großer Erfolg. Es fanden viele weitere Aufführungen statt, später auch in anderen Städten der Sowjetunion und sogar sehr zahlreich in den USA (11). Alexei Tolstoi schreibt über die Symphonie: “Geschrieben wurde sie in Leningrad, aber es handelt sich um Musik von Weltrang, [...] denn sie erzählt die Wahrheit über den Menschen in einer Zeit der Prüfungen und des beispiellosen Elends.” (12).
(1) Redepenning, D. (2011): Das Werden eines Mythos: Dmitrij Šostakovičs 7. Symphonie, „Die Leningrader“, Erschienen in: Osteuropa Vol. 61, No. 8/9, Die Leningrader Blockade: Der Krieg, die Stadt und der Tod (August/September 2011), S.169-173.
(2) Хентова, С (1981): Шостакович в Петрограде - Ленинграде, 2-е изд., доп., Ленинград: Лениздат, S.156.
Hentowa, S. (1981): Schostakowitsch in Petrograd - Leningrad, 2. Aufl., Ausg., Leningrad: Lenizdat, S. 156.
(3) Redepenning, D. (2011): Das Werden eines Mythos: Dmitrij Šostakovičs 7. Symphonie, „Die Leningrader“, Erschienen in: Osteuropa Vol. 61, No. 8/9, Die Leningrader Blockade: Der Krieg, die Stadt und der Tod (August/September 2011), S.173 ff. .
(4) Iken, K. (2018): Leningrader Sinfonie - Mit Pauken und Trompeten gegen den Terror, schienen am: 27.02.2018 https://www.spiegel.de/geschichte/leningrader-sinfonie-von-schostakowitsch-1942-ueberleben-mit-musik-a-1194616.html, letzter Aufruf: 27.02.2018.
(5) Redepenning, D. (2011): Das Werden eines Mythos: Dmitrij Šostakovičs 7. Symphonie, „Die Leningrader“, Erschienen in: Osteuropa Vol. 61, No. 8/9, Die Leningrader Blockade: Der Krieg, die Stadt und der Tod (August/September 2011), S.179.
(6) Хентова, С (1981): Шостакович в Петрограде - Ленинграде, 2-е изд., доп., Ленинград: Лениздат, S.156.
Hentowa, S. (1981): Schostakowitsch in Petrograd - Leningrad, 2. Aufl., Ausg., Leningrad: Lenizdat, S. 156.
(7) Redepenning, D. (2011): Das Werden eines Mythos: Dmitrij Šostakovičs 7. Symphonie, „Die Leningrader“, Erschienen in: Osteuropa Vol. 61, No. 8/9, Die Leningrader Blockade: Der Krieg, die Stadt und der Tod (August/September 2011), S.179.
(8) Iken, K. (2018): Leningrader Sinfonie - Mit Pauken und Trompeten gegen den Terror, erschienen am: 27.02.2018 https://www.spiegel.de/geschichte/leningrader-sinfonie-von-schostakowitsch-1942-ueberleben-mit-musik-a-1194616.html, letzter Zugriff: 27.02.2018.
(9) Redepenning, D. (2011): Das Werden eines Mythos: Dmitrij Šostakovičs 7. Symphonie, „Die Leningrader“, Erschienen in: Osteuropa Vol. 61, No. 8/9, Die Leningrader Blockade: Der Krieg, die Stadt und der Tod (August/September 2011), S.179.
(10) Хентова, С (1981): Шостакович в Петрограде - Ленинграде, 2-е изд., доп., Ленинград: Лениздат, S.188.
Hentowa, S. (1981): Schostakowitsch in Petrograd - Leningrad, 2. Aufl., Ausg., Leningrad: Lenizdat, S. 188.
(11) Redepenning, D. (2011): Das Werden eines Mythos: Dmitrij Šostakovičs 7. Symphonie, „Die Leningrader“, Erschienen in: Osteuropa Vol. 61, No. 8/9, Die Leningrader Blockade: Der Krieg, die Stadt und der Tod (August/September 2011), S.180 ff. .
(12) Rajskin, I.; Klokova A. (2011): „Was war das für Musik!“ Leningrad 1941-1942: Konzerte, Kompositionen, Künstler; Erschienen in: Osteuropa Vol. 61, No. 8/9, Die Leningrader Blockade: Der Krieg, die Stadt und der Tod (August/September 2011), S.208.
von Alexandra Kolabinowa und Léna Mücke