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VON LESARTEN UND SCHREIBWAISEN

Die Sammlung Schrift und Bild

Stiftung Schrift und Bild
Stadt Hanau, Fachbereich Kultur
Stiftung der Sparkasse Hanau


Katalog Schrift und Bild

1963

Aus der Sammlung von

Stiftung Schrift und Bild

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Quelle

Foto: Jörg Schmitz

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Katalogtitel »Schrift und Bild«


Einführung

Schrift und Bild – also Schrift als eigenständiger künstlerischer Bildgegenstand – haben eine Tradition, die mindestens bis ins Mittelalter zurückgeht.

Schon im Mittelalter wurden handschriftliche Texte zur Figur angeordnet. In den 1920er Jahren war es dann zum Beispiel Kurt Schwitters, der Schriftfetzen collagierte und mit DaDa und MERZ zu neuen Ufern aufbrach. Spätere kunstgeschichtliche Einordnungen wie »visuelle« oder »konkrete Poesie« sind einige mögliche Bezeichnungen für die Kunst, die Schrift zum Bild werden lässt. 

Unter dem Titel »Schrift und Bild« fand 1959 eine Ausstellung in der Kunsthalle Baden Baden und im Stedelijk Museum Amsterdam statt. Deren Katalogtitel zeigte das von Grafiker Wolfgang Schmidt (1929-1995) gestaltete Signet, welches heute Logo der Stiftung Schrift und Bild ist. Herausgegeben wurde der Katalog von Franz Mon (1926-2022) in seinem Typos Verlag. Mon war gleichsam Teilnehmer der Ausstellung und sollte später als einer der weltweit wichtigsten Vertreter der visuellen Poesie gelten. Mons Assistent an der Hochschule für Gestaltung (HfG) Offenbach am Main war Jörg Schmitz, der heute Kurator der Sammlung Schrift und Bild ist.

»wir haben sprache 
und sie hat uns.«

(Franz Mon)

Seit 2011 wächst die von Schmitz aufgebaute Sammlung stetig. Basis der Sammlung sind Franz-Mon-Editionen, die privat finanziert herausgegeben wurden, bis heute Teil der Sammlung sind und deren teilweiser Verkauf Aktivitäten der Stiftung finanziert. Die Stiftung Schrift und Bild vergibt seit 2021 jährlich ein Deutschlandstipendium an der Hochschule für Gestaltung (HfG) Offenbach am Main. Damit wird auf die neuere Entstehungsgeschichte von »Schrift und Bild« Bezug genommen, deren Geburtsstätte die Kunsthochschule in Offenbach war.

Die hier gezeigte Online-Ausstellung zeigt einen kleinen Ausschnitt der Sammlung Schrift und Bild. Der Titel »VON LESARTEN UND SCHREIBWAISEN« ist bewusst humorvoll-kokett gewählt. Bei den allermeisten Arbeiten der Sammlung kann von einer »Lesbarkeit« im herkömmlichen Sinne keine Rede sein, weil das visuelle Experiment mit der Schrift eine ganz eigene Motivation bei deren Entstehung war. So entstanden Schreibwaisen – Werke also, deren zum Schönschreiben erzogene »Eltern« ihre experimentellen Kinder staunend über sich selbst zurücklassen…



Das himmlische Alphabet

16. Jahrhundert

Aus der Sammlung von

Stiftung Schrift und Bild

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Typos Verlag Frankfurt am Main

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Das himmlische Alphabet 16. Jh. Über einem Text von Guillaume Postel (*1510 La Dolerie/Normandie, † 1581 Paris)

Schrift und Bild: ein ewiges Thema

Bereits in früheren Zeiten spielte »Schrift als Bild« eine Rolle, wie ein Fundstück aus dem Katalog »Schrift und Bild« zeigt. (Typos Verlag Frankfurt am Main 1963):

Das himmlische Alphabet 16. Jh. – Über einem Text von Guillaume Postel (*1510 La Dolerie/Normandie, † 1581 Paris) aus: »Das Weltreich der Magie« von Kurt Seligmann. »Postel behauptete, dass er seine Ideen durch göttliche Offenberung empfangen habe. Der hebräische Gelehrte las den Willen Gottes in den Sternen. In altertümlichen hebräischen Buchstaben waren ewige Gesetze an das Himmelsgewölbe geschrieben. Wenn man sich zwischen den Sternen Linien dachte, konnte man Buchstaben und Wörter lesen. Diese Gedanken wurden später von Richelieus Bibliothekar, dem Kabbalisten Gaffarel, aufgegriffen.«





Dimensional Fonts

Franz Weid, 2022, Offenbach am Main

Aus der Sammlung von

Stiftung Schrift und Bild

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Foto: Franz Weid

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Franz Weids digital erzeugtes vieldimensionales Alphabet


Die Schrift als Bild in unserer Zeit

Als visuelles Geleitwort soll der hier gezeigten Ausstellung die Arbeit „Dimensional Fonts“ (2022) vorangestellt werden.

Als erster Stipendiat der Stiftung Schrift und Bild (2021/22) ist der Autor der Arbeit Franz Weid (*1997) jüngster und aktuellster Künstler der Sammlung. Franz Weid führt einerseits das an der Hochschule für Gestaltung (HfG) Offenbach am Main fest verankerte typografische Experiment fort. Sein Alphabet ist ein zeitgenössisches Statement zur Bildhaftigkeit der Schrift, zum künstlerischen Potential des einzelnen Buchstabens. Andererseits lebt Weids Alphabet von quasi unendlichen durch Software generierte Varianten und von deren Vieldimensionalität nicht nur in der Raum- sondern durch Animation auch in der Zeitachse.

Diese »Maschinenschrift« definiert die grundsätzliche Frage der Urheberschaft im digitalen Zeitalter neu und feiert gleichzeitig eine entfesselte Schaffenskraft, die in ihrem Prozess nicht mehr ausschliesslich menschlichen Zutuns bedarf. Der Künstler selbst kann final aus einer Vielzahl »automatisch« erzeugter Schrift-/Bildzeichen auswählen. Der Siebdruck ist dann wieder Handarbeit.

Schließlich steht Weid in seiner Zeit für den seit Langem bekannten Typus der Gestaltenden, die – ohnehin bloß künstliche gezogene – Grenzen zwischen Kunst und Design kreativ verschwimmen lassen und daraus neue Welten schaffen. 



Video-Installation »Dimensional Fonts«

Werk: Franz Weid; Video: Jörg Schmitz, 2022, Hanau

Aus der Sammlung von

Stiftung Schrift und Bild

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Werk: Franz Weid; Video: Jörg Schmitz

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Video-Installation »Dimensional Fonts« von Franz Weid, 2022. Dokumentation: Jörg Schmitz

Video-Installation »Dimensional Fonts«

Die Fenster des ehemaligen Wiegehaus im Alten Hafenamt Hanau werden zur Projektionsfläche für eine unendliche Videosequenz, die digital erzeugte Lettern von Franz Weids' Arbeit »Dimensional Fonts« zeigen. Franz Weid hat das Deutschlandstipendium 2022 der Stiftung Schrift und Bild erhalten.





Gespräch Martin Hoppe – Jörg Schmitz

Jörg Schmitz, Martin Hoppe, 2023, Hanau

Aus der Sammlung von

Stiftung Schrift und Bild

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Jörg Schmitz

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Podcast: Martin Hoppe und Jörg Schmitz im Gespräch


Die Sammlung Schrift und Bild im Alten Hafenamt Hanau

Martin Hoppe, Leiter des Fachbereichs Kultur, Stadtidentität und Internationale Beziehungen der Stadt Hanau und Jörg Schmitz, Kurator der Sammlung der Stiftung Schrift und Bild im Dialog.

Ein Gespräch über das denkmalgeschützte Hafenamt-Ensemble auf der Route der Industriekultur Rhein-Main und die Sammlung, die temporär und auszugsweise im Alten Hafenamt ausgestellt wird. Die Sammlung soll dort nach vielen Jahren des Sammelns endlich auch systematisch bearbeitet werden.

Perspektiven von Schrift als Bild

Die Kategorisierung von Schriftbildern – also Bildern aus oder mit Schrift – unterschiedlicher Epochen ist stets subjektiv. Doch hilft sie uns, unterschiedliche künstlerische Ansätze kennenzulernen, zueinander in Beziehung zu setzen und die technischen Möglichkeiten ihrer Entstehungszeit als Handlungsrahmen zu erkennen.

Aus der Perspektive des Jahres 2023 mag es keine grosse Sache sein, Schrift ins Bild zu bringen. Der Computer ermöglicht das in Sekundenschnelle. Das war jahrzehnte-, ja jahrhundertelang anders: Bleisatz und Fotosatz waren bis in die 1990er Jahre hinein bestimmend für das, was mit Schrift herstellerisch möglich war. Auch beeinflussten Trends, wie beispielsweise der in den 1960/70er Jahren boomende und besonders in den USA populäre Siebdruck die künstlerische Produktion. Einfluss nahmen auch technische Umbrüche, wie zum Beispiel die Auflösung von Bleisatzwerkstätten oder die Entsorgung von Holzdruckalphabeten, durch die nicht mehr Genutztes in die künstlerische Produktion einzog.

Unter den bisher gesammelten und hier auszugsweise gezeigten Arbeiten der Stiftung Schrift und Bild lassen sich insbesondere drei große Richtungen identifizieren, die erkennbare Unterschiede von »Schrift als Bild« zeigen, es sind

  • die Perspektive der Typografie
  • die Perspektive des Zeichens sowie 
  • die Perspektive der Geste


Naturgemäß überschneiden sich diese Richtungen organisch. Daher war bei den hier gezeigten Arbeiten zu fragen: »welche Perspektive steht jeweils im Vordergrund?« beziehungsweise »durch welches Hauptmerkmal zeichnet sich die jeweilige Arbeit aus?«

Eine Betrachtung des Künstlers bzw. seines Lebenswerks kann dabei kaum ausgeblendet werden.



Perspektive Typographie

Von dieser Perspektive aus betrachtet tritt Typographie in ihrer uns gewohnten Erscheinungsform als Text auf. Text meint hier ein Konglomerat von mehreren Buchstaben, die auf dem Format versammelt sind – ganz gleich, ob in konventioneller oder in experimenteller Form angeordnet.

Der einzelne Buchstabe ist wiedererkennbar und selbst unbearbeitet; in deren Anordnung ist ein System, eine Ordnung oder eine Methode wiedererkennbar. Franz Mon sprach in diesem Zusammenhang von »Textmethoden« (Titel eines Seminars an der Hochschule für Gestaltung Offenbach am Main 1997/98).





Karl-Georg Hoefer: Lebensdaten

Aus der Sammlung von

Stiftung Schrift und Bild

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Foto: Jörg Schmitz

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Entwurf vor Kunst

Von dem Schriftentwerfer Karlgeorg Hoefer (1914-2000) stammt eine typographische Illustration, deren Hauptmotiv eine »Neun« ist. Obwohl die Arbeit inhaltlich nicht viel mehr an Information freigibt, können die Schriftarten eindeutig identifiziert werden. Die als Hauptmotiv verwendete Neun entstammt dem von Hoefer im Auftrag des damaligen Verkehrsministeriums entworfenen Alphabets, das wir tagtäglich im Strassenverkehr sehen: Es entstammt  der sogenannten »FE-Schrift«, in der unsere Kraftfahrzeug-Kennzeichen gestaltet sind. Der Terminus »FE«steht für »fälschungserschwert«. Die »Formen waren sehr eigenwillig, aber sie konnten nicht so schnell mit einem Filzstift verändert werden, wie dies mit der alten DIN-Schrift machbar war. « (www.kghoefer.de)

Die übrigen fetten Lettern entstammen einer ebenfalls von Hoefer entworfenen Schrift. »Bei seinen vielen Schriftversuchen entdeckte KgH die Möglichkeiten einer fetten plakativen Schrift. Durch minimalisierte, aber gleichzeitig elegante Formgebung entwickelte er die Schrift »Bigband« (...). Ihre fetten Formen sind sehr markant und werden in plakativen Anzeigen verwendet«, weiss die Webseite http://www.kghoefer.de/KgHoefer_Schriften.html

»Die Buchstaben haben an der geistigen und materiellen Welt teil und drücken demzufolge allen Dingen ihr Wesen auf; sie sind Zeichen, durch die wir die ganze Vernunft im Weltganzen erkennen. Durch ihre Vermittlung offenbart sich der heilige Geist in der Natur.«

Kurt Seligmann in: Das Weltreich der Magie, New York 1948





Friedrich Friedl

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Stiftung Schrift und Bild

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Kunst des Typographischen

Friedrich Friedl (*1944) ist emeretierter Professor für Typographie an der Hochschule für Gestaltung (HfG) in Offenbach am Main. Den euphorischen Kunstsammler fasziniert konzeptuelle und konstruktive Kunst. Und so bezieht sich Friedl in seiner Arbeit denn auch auf Prinzipien der Moderne. 

Nach planvollem Vorgehen wird ein Prinzip konsequent durchgehalten – hier: eine regelmässig-unregelmässige Staffelung der Lettern hinter- und übereinander sowie eine sich wiederholende Winkelung der Buchstaben. 





Franz Mon: Wortbild

Franz Mon, 2010, Offenbach am Main

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Stiftung Schrift und Bild

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Visuell poetisch

Als einer der international etabliertesten Vertreter der visuellen Poesie war Franz Mon (*1926-2022, Frankfurt am Main) ein Meister des Alphabets. Seine Arbeit aus 2010 zeigt überlagerte Typografie in Form eines Buchstabenrätsels. Die Anordnung der Lettern ist wesentlich bestimmt durch die Geometrie der Waagerechten und der Senkrechten.

So ineinander verwoben sind die einzelnen Bestandteile der Komposition, dass die Figur im Vordergrund steht. Wer mag, begibt sich auf Entdeckungsreise und versucht, das Rätsel zu entziffern.



Friendship

Biarna Diegmüller, 2022, Offenbach am Main

Aus der Sammlung von

Stiftung Schrift und Bild

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Biarna Diegmüller

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Text/Textil

Biarna Diegmüller (*1995) beschäftigt sich in ihrer 3-teiligen Arbeit »Friendship« mit Inhalten der US-amerikanischen Serie »Sex and the City« und den Dialogen ihrer Protagonistinnen. 

Den Text »How did it happen that four smart women have nothing to talk about but boyfriends«, einen Satz der Serienfigur Miranda Hobbes, nutzt Diegmüller als Material für eine typografische Inszenierung. Durch sie entsteht eine spannungsreiche Beziehung zwischen Inhalt und Form. Die Form wird durch die Ausführung als textiles Objekt mit seiner Oberfläche aus Frottee bestimmt. 



Installation Biarna Diegmüller, Altes Hafenamt Hanau

Marvin Menne, 2023

Aus der Sammlung von

Stiftung Schrift und Bild

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Marvin Menne, Biarna Diegmüller

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Temporäre Installation von Biarna Diegmüller im Alten Hafenamt Hanau, 2023. Video: Marvin Menne


Biarna Diegmüller: Textile Installation

Im Schaufenster des ehemaligen Wiegehauses am Alten Hafenamt Hanau inszeniert Biarna Diegmüller (Deutschlandstipendium 2023 der Stiftung Schrift und Bild) drei textile Objekte, die im Raum zu schweben scheinen.

So wiederholt sich die formale Leichtigkeit der Typografie in der segelartigen Anordnung der Objekte in der Mini-Galerie.



Christian Katt: fever kaun

Christian Katt

Aus der Sammlung von

Stiftung Schrift und Bild

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Literarisches Objekt

Technisch durchaus in Bezug zu Franz Mon, der einst Schriftfetzen in der Wäschetrommel schleuderte und daraus objekthaft wirkende Collagen erstellte, steht Christian Katts Arbeit. Katt (*1960 in Wien) ist Schriftsteller und bildender Künstler. In seiner Selbstauskunft als »SchriftSteller, transmedialist, nischendaseinsberechtigter, randexistenzenbeauftragter« beschreibt er sein Verhältnis zur Sprache als Material.

In der gezeigten Arbeit verformt Katt auf Folie gedruckte Typographie. Das daraus entstandene würfelartige Objekt entfaltet seine Wirkung im farbverfremdeten Foto irgendwo zwischen Assoziationen von entwerteten Sprachresten und einer Art luziden Denkmals für die experimentelle Literatur.



Perspektive Zeichen

Die Perspektive des Zeichens zeigt uns einen oder wenige Buchstaben. Deren Fokus liegt schon nicht mehr auf der Bedeutung des Einzelzeichens oder dessen Phonetik. Zeichen oder Buchstabe sind Figur und Konstrukt, Text wird zur Textur, zum Muster, zur Oberfläche. Deren Einzelbestandteile gehen in der Gesamtbetrachtung unter, sind eventuell erst auf den zweiten Blick oder fast gar nicht mehr erkennbar.





VRAGK: ohne Titel

VRAGK, keine Angabe, keine Angabe

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Stiftung Schrift und Bild

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Farbiger Zeichenteppich

Im Interview »Buchstabenbiegerei und hängengebliebene Dynamik« mit der »Kollektiven Offensive« bekennt der Graffittiartist VRAGK: »Buchstaben sind Sprache, sind … alles. Bücher kann man ohne Buchstaben nicht lesen und ohne Buchstaben auch nicht schreiben. Buchstaben bestimmen die Kultur. Buchstaben sind Gott – ja für mich persönlich sind Buchstaben Gott.«

Das hier gezeigte Feld aus Buchstaben entstand mit dem Marker. Die sonst so ehrfurchteinflössende gothisch-mittelalterlich anmutende Kalligrafie wird durch Farbgebung und vielfache Überlagerung der Zeilen betont heiter und löst sich zu einem Textteppich auf.



Pino Masnata

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Stiftung Schrift und Bild

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Text als Figur

»Aus Protoplasma wachsendes Leben schwindendes Leben sterbliches Leben unendliche Verklärung der Musik schwache Schwingung« lautet in etwa die Übersetzung des kreisrund gesetzten Textes von Pino Masnata (1901-1968), einem Pseudonym für Giuseppe Masnata.

Bereits 1912 wurden mit Tommaso Marinettis »Manifesto tecnico della letteratura futurista"« (»
Technisches Manifest der futuristischen Literatur«) die »Parole in libertà«, die »Wörter in Freiheit« proklamiert. Aus diesem Blickwinkel ist Masnatas Arbeit vielleicht als theatralisch-typografische Inszenierung im Geiste des Futurismus zu verstehen.







ohne Titel

Werner Büttner, 1989, Hamburg

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Musterhafte Zeichenflut

Werner Büttner (*1954 in Jena) ist ein deutscher Maler und lehrte 1989 bis 2021 an der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg Malerei. In den 1980ern wurde er zusammen mit den Brüdern Albert und Markus Oehlen und Martin Kippenberger zu den sogenannten »Neuen« oder »Jungen Wilden« in der Malerei gerechnet, die sich von der Konzeptkunst abwendeten und eine »Rückkehr der Malerei« propagierten.

Die »Phantastische Komposition« (Siebdruck) aus dem Jahre 1989 zeigt das gleiche Motiv übereinander angeordnet. Neben einem stilisierten Gesicht ist eine Art »Textbaum« zu erkennen, an dessen Ästen die Buchstaben »A« und »O« zu erkennen sind.



Stadtzeichen

Dietrich Gnüchtel, 1996, Leipzig

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Lärm der Zeichen

Der Holzschnitt »Stadtzeichen« des Leipziger Künstlers Dietrich Gnüchtel (*1942, Leipzig) aus dem Jahre 1996 fokussiert auf Chiffren der Stadt. Diese lassen sich eher intuitiv wahrnehmen statt rational entziffern.

Assoziationen von Lärm, Bewegung, urbanem Wirr-Warr drängen sich auf. Durch die Überdruckung zweier Farben wird dieser Eindruck noch gesteigert. Auch offenbart die Technik des Holzschnitts ihre eigene Sprache: die Mühe der Schnittarbeit teilt sich mit und wird unmittelbar zum Wesensmerkmal des Drucks.





Josef Linschinger: Text/Bild

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Lexikalisches Zeichen

Als fast diagrammartig wirkendes Schaubild ordnet Josef Linschinger (*1945 in Gmunden, Österreich) zwei figurhafte Zeichen übereinander an. Eindrücklich signalhaft treten die Zeichen in Rot und Blau auf; die Wörter »Text« und »Bild« scheinen die Formen um sie herum formelhaft deuten und verstärken zu wollen.  

Dieser selbstreflektive Ansatz findet Anschluss an das konzeptuelle Vorgehen der »konkreten Kunst«: »Das Kunstwerk muß(!) im Geist vollständig konzipiert und gestaltet sein, bevor es ausgeführt wird. Es darf nichts von den formalen Gegebenheiten der Natur, der Sinne und der Gefühle enthalten. Wir wollen Lyrismus, Dramatik, Symbolik usf. ausschalten. Das Bild muß(!) ausschließlich aus plastischen Elementen konstruiert werden, d. h. aus Flächen und Farben. Ein Bildelement hat keine andere Bedeutung als sich selbst.« (Theo van Doesburg)

Perspektive Geste

Die Geste entfernt sich durch gewollte, unbeabsichtigte oder im künstlerischen Prozess schlichtweg zugelassene Abstraktion von eventuell noch vorhandener Lesbarkeit. 

Das Zeichen ist in Auflösung begriffen und einer Entschlüsselung nicht mehr zugänglich. Die künstlerische Geste, eine intuitive ungestüme Bewegung, entkoppelt den Buchstaben, das Zeichen endgültig von seiner früheren Funktion. Trotzdem entstammt die Geste – in unserem Zusammenhang – wiedererkennbar oder »gefühlt« einem früheren Schriftzeichen, trägt vielleicht gerade noch Merkmale von diesem, erinnert vielleicht entfernt noch an Schrift.





Karl Otto Götz: Lithografie

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Stiftung Schrift und Bild

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Grosse Geste

Aus Experimenten mit Kleister, Farbe und Rakeln entwickelte Karl Otto Götz (1914-2017) Anfang der 1950er Jahre eine Methode, die zu seinem Markenzeichen werden sollte: »einen Götz« erkennt man sofort. Diese Methode zeigt auch die hier präsentierte Lithografie: aus einer schreib- und schriftähnlichen Bewegung heraus verharrt die Geste im letztlichen Bild. 

Die nicht wiederholbare, einzigartige Geste als mit Körperenergie aufgeladenem Restzeichen des Schreibens und des Seins reflektiert sich selbst im Bild. Gleichsam bleiben der Bezug zur Schrift wie der Abschied von ihrer ursprünglichen Funktion offensichtlich.



Carlfriedrich Claus: Text

Carlfriedrich Claus, 1990, Annaberg

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Schrift als Mikrogeste

Die kleinformatige Radierung von Carlfriedrich Claus (1930-1998) aus dem Jahre 1990 nötigt zum Nähertreten: Claus' »Mikroschrift« fasziniert durch Schriftgrößen von nur wenigen Millimetern. Die Arbeit steht in der Tradition seiner »Sprachblätter«: höchst filigrane handgeschriebene Schriftbilder, die teils auf transparentem Papier Vorder- und Rückseite füllten.

Die Anmutung eines Briefs in Mikroschrift kann gleichsam als künstlerisch-grafisches Psychogramm des Verfassers als Individuum wie auch als universelles Lebendzeichen geistiger Bewegung »gelesen« werden. Kategorien wie »Sinn«, »Inhalt« oder auch »Fehler« im Schriftbild versagen als mögliche Zugänge zum Werk vollständig.





Gil Schlesinger

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Stiftung Schrift und Bild

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Reduzierte Welt

An die Bildhaftigkeit chinesischer Schriftzeichen erinnert die Komposition von Gil Schlesinger (*1931 in Aussig, Tschechoslowakei). Das Auge ringt zunächst um die »Lesbarkeit« und versucht eine Entschlüsselung des Dargestellten. Vielleicht drei Buchstaben eines Satzes? Erfolglos bleiben die Dechiffrierversuche, denn Schlesingers Kompositions mäandert zwischen eben dieser Zeichen- und Bildhaftigkeit.

Da die Zeichen keine Auflösung preisgeben, gewinnt das Bild. Der archetypische Gesamteindruck verweist auf frühe Höhlenmalerei und asiatische Kalligraphien.

Die Geste ist visualisierte
körperliche und geistige Bewegung
eines nicht wiederholbaren Moments.

Jörg Schmitz





Robert Motherwell: ohne Titel

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Stiftung Schrift und Bild

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Abstrakt expressiv

Obwohl unser Gehirn permanent versucht, uns abstrakte Formen als konkrete Figuren zu erklären, gibt die Lithographie von Robert Motherwell (1915-1991) keine Bedeutung frei. Eventuell assoziieren wir eine »Eins«. Das liegt weniger daran, dass wirklich eine Eins dargestellt wäre sondern daran, dass die gelernte Konvention speziell in unserem Kulturkreis diese Zahl als ähnlich identifiziert. 

Kein Zweifel kann an der kontrollierten Führung des Pinsels bestehen; dessen Strichstärken variieren gekonnt, gesteuert, gelassen. Das Motiv ist in der Formatmitte platziert und strahlt etwas Grundsätzliches aus. Schräg – senkrecht – waagerecht, so die Führung des Malinstruments. Diagonale, Senkrechte, Waagerecht – es ist die grundlegende Geometrie unserer Welt.





Jörg Schmitz: Fragmente IV

Jörg Schmitz, 2021, Gelnhausen

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Stiftung Schrift und Bild (Leihgabe)

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Gestisch intuitiv

Jörg Schmitz (*1969) ordnet Gestisches, Schriftliches und Bildliches so an, dass ein flächiges Muster entsteht. Schwarz und Weiss versuchen eine Balance, Elemente scheinen gleichberechtigte Akteure auf dem Format. Ein flächenübergreifendes Muster löst den Begriff des »Bildes« zugunsten seiner Einzelteile auf.

Kunsthistorische Rückgriffe auf die visuelle Poesie sind dabei kein Zufall, versteht Schmitz seine Arbeit doch (auch) als Laboratorium des Dreiklangs »Schrift, Geste, Bild«. Als Inkubator für den Wachstumsprozess seiner Arbeit nennt Schmitz die Hochschule für Gestaltung (HfG) Offenbach am Main und seine langjährigen Mentoren Friedrich Friedl und Franz Mon. 





Eine virtuelle Ausstellung von

Erstellt mit :
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Diese Ausstellung wurde am 16.01.2024 veröffentlicht.



Impressum

Die virtuelle Ausstellung VON LESARTEN UND SCHREIBWAISEN wird veröffentlicht von:

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Sitz: Oberer Reisberg 23 A, 61350 Bad Homburg v.d.H.
Sammlung:  Hafenstrasse 8, 63450 Hanau


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Inhaltlich verantwortlich:

Jörg Schmitz 
Sammlung Schrift und Bild
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Kurator*innen:

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