Friedrich Nietzsche, 1888Ohne Musik wäre das Leben ein Irrthum.
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Friedrich Nietzsche, 1888Ohne Musik wäre das Leben ein Irrthum.
Seit seiner Kindheit im Röckener Pfarrhaus gehörte Musik zu Nietzsches Leben. Die Improvisationen des Vaters am Klavier, denen der kleine Fritz aufmerksam gelauscht hatte, werden die nie versiegende Leidenschaft für die Tonkunst geweckt haben. Nach dem frühen Tod Carl Ludwig Nietzsches (1813–1849) und der Übersiedlung nach Naumburg schenkte die Mutter dem Sechsjährigen ein eigenes Klavier. Kantor G. Fr. M. Steeger unterrichtete den Knaben und bald schon beeindruckten Mutter und Sohn mit vierhändigen Haydn-Sonaten im »Naumburger Frauenhaushalt«. Weitere musikalische Impulse erhielt Nietzsche im Hause seines Schulfreundes und »Bruders in arte musica« Gustav Krug. Hier empfing man Gäste wie Felix Mendelssohn Bartholdy oder Clara und Robert Schumann. Es wurde musiziert und diskutiert, und der junge Nietzsche begeisterte mit seinen »unvergesslichen« Improvisationen – die vom Vater geerbte Gabe wird ihm selbst nach seinem geistigen Zusammenbruch noch die Seele erquicken.
Klassik Stiftung Weimar
»Gott hat uns die Musik gegeben, damit wir erstens, durch sie nach Oben geleitet werden. Die Musik vereint alle Eigenschaften in sich, sie kann erheben, sie kann tändeln, sie kann uns aufheitern, ja sie vermag mit ihren sanften wehmüthigen Tönen das roheste Gemüth zu brechen. Aber ihre Hauptbestimmung ist, daß sie unsre Gedanken auf höheres leitet, daß sie uns erhebt, sogar erschüttert.«,
schreibt der 14jährige Nietzsche in seiner ersten Autobiographie kurz vor seiner Aufnahme in das renommierte Gymnasium von Schulpforta. Neben Gedichten und Theaterstücken hatte er bereits kleine Kompositionen, Fugen, Sonaten und mehrstimmige geistliche Stücke entworfen. Das kompositorische Rüstzeug eignete er sich zielstrebig autodidaktisch an, vor allem an Hand der Kompositionslehre Johann Georg Albrechtsbergers, des einstigen Lehrers des von Nietzsche hochverehrten Beethoven. Bald schon gelangen ihm phantasievolle, meist vierhändige Klavierstücke, symphonische Dichtungen und Lieder – Widmungsgaben und zum gemeinsamen Musizieren mit den Freunden gedacht.
Mehr als 70 Titel zählt das kompositorische Werk Friedrich Nietzsches, etwa 50 davon sind erhalten geblieben, viele nur fragmentarisch. Die Notenmanuskripte, die sich im Nachlass des Philosophen erhalten haben, werden zum größten Teil in Weimar aufbewahrt. Sie gelangten 1950 mit den Nietzsche-Beständen des ehemaligen Nietzsche-Archivs ins Goethe- und Schiller-Archiv. Die Manuskripte zeugen von einem passionierten, innigen Verhältnis Nietzsches zur Musik, die er über alle Künste erhob und die ihm wesentliche Stimulanz für sein philosophisches Schaffen war. All seine Schriften sind von Gedanken zur Musik durchzogen. Allein »den ganzen Zarathustra« hätte sein Autor selbst eher »unter die Musik rechnen« wollen. »Vielleicht hat es nie einen Philosophen gegeben, der in dem Grade am Grund so sehr Musiker war, wie ich es bin«, heißt es in einem Brief an den Dirigenten Hermann Levi. Und im ›Fall Wagner‹ fragt Nietzsche: »Hat man bemerkt, dass die Musik den Geist frei macht? dem Gedanken Flügel giebt? dass man um so mehr Philosoph wird, je mehr man Musiker wird?«
Herzogin Anna Amalia Bibliothek, Klassik Stiftung Weimar
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Goethe- und Schiller-Archiv, Klassik Stiftung Weimar
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Rechnung von Kantor Georg Friedrich Maximilian Steeger für Franziska Nietzsche (1826 –1897), Naumburg, 2. Juli 1855 über eine Summe von 2 Reichstalern, 4 Silbergroschen und 9 Pfennigen für »25 Stunden Pianoforte-Unterricht«, vom 1. April bis Ende Juni 1855, und ein »Buch mit den Noten, für den Sohn«
Von den ersten, noch unbeholfenen kompositorischen Versuchen des Naumburger Gymnasiasten zeugt seine Geburtstagssymphonie. Sie ist möglicherweise im Zuge der Abschriften von Symphonien Haydns und Mozarts entstanden, die er in dieser Zeit anfertigte. Nietzsche hatte wohl eine Orchestrierung seiner Komposition im Sinn, erarbeitete sie aber nur im Klavierauszug.
Zu wessen Geburtstag sie entstanden war, ist nicht überliefert. Anzunehmen ist, dass Nietzsche sie Gustav Krug (1844–1902), der schon hohe Fertigkeiten im Violinspiel erlangt hatte, widmete. Die Schulfreunde verbanden musikalische Interessen aufs engste, das gemeinsame Musizieren gehörte zum Freizeitprogramm.
Goethe- und Schiller-Archiv, Klassik Stiftung Weimar
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Herz! Was soll dis bange ZagenTranskript des Gedichtes ›Herz, was soll dies bange Zagen‹ aus Nietzsches Notizbuch der Jahre 1856-1858
Manches muß ein Mann ertragen
Ohne Murren ohne Klagen.
Will er in der Welt bestehn.
Siehst du nicht die Vöglein gehn
Ohne Angst im Herz zu tragen.
Und an solchen heitren Tagen
Sollte Gram am Leben nagen? /
Sei ein Mann! Mit milder Hut
Schirmet er dein liebstes Gut
Darum fasse, Herz nun Muth! /
Wirst mit deinen bangen Klagen
Nur die lustgen Vöglein plagen
Die dort in der Abendgluth
Noch ein nettes Lied probieren
Stimme ein ins Musizieren
Froher Sang vertreibt ja Zagen
Schmerzen, die das Herz durchwehn
Muß der deutsche Mann ertragen.
Fasse Muth, fasse Muth!
Friedrich Nietzsche im Jahr 1858 über die Naumburger Aufführungen von Händels ›Messias‹ und Mozarts ›Requiem‹. Sie waren Schlüsselerlebnisse für den angehenden Komponisten.»Ich war an den Himmelfahrtstag [1854?] in die Stadtkirche gegangen und hörte den erhabenen Chor aus dem Messias: das Halleluja! Mir war, als sollte ich mit einstimmen, deuchte mir doch, es sei der Jubelgesang der Engel unter dessen Braußen Jesus Christus gen Himmel führe. Alsbald faßte ich den ernstlichen Entschluß, etwas ähnliches zu componiren …«
Goethe- und Schiller-Archiv, Klassik Stiftung Weimar
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In der Zeit von Sommer 1860 bis Mitte 1861, dem Jahr seiner Konfirmation, arbeitete Nietzsche immer wieder an Teilen zu einem Weihnachtsoratorium. Wie aus einem Brief an seine Freunde Gustav Krug und Wilhelm Pinder vom 14. Januar 1861 hervorgeht, verfolgte er den kühnen Plan einer »Umgestaltung des Oratoriums«. Der »viel zu künstlichen, altväterischen Behandlungsweise … die mehr in die Studirstube passt als [in] unsre Kirchen und Säle« wollte er eine seinem Zeitalter entsprechende Umsetzung des Stoffes entgegensetzen.
Knapp 50 Manuskriptseiten mit Entwürfen zu Szenen wie ›Die Heidenwelt‹, ›Mariä Verkündigung‹ oder ›Der Könige Tod‹ sind in Fragmenten, ausgeformten Sätzen und Varianten im Klaviersatz überliefert. Das Weihnachtsoratorium blieb unvollendet. Die Instrumentalstücke gingen noch 1861 in das vierhändige Klavierstück ›Schmerz ist der Grundton der Natur‹ ein. Zehn Jahre später greift Nietzsche in der ›Monodie à dieux‹ noch einmal auf die Entwürfe zurück.
Goethe- und Schiller-Archiv, Klassik Stiftung Weimar
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Allein vier verschiedene Hirtenchöre haben sich erhalten. Darunter die textlose Niederschrift einer Fassung in a-Moll, der Nietzsche auf einem anderen Blatt Verse nach Psalm 25 »Nach dir Herr verlangt mich» unterlegt. ›Wild wogt der Wahn‹ (›Gesang des Mohren‹?) beeindruckt durch seine ungewöhnliche harmonische Gestaltung. Der Text, im altgermanischen Stabreim gefasst, drückt angesichts des Weihnachtswunders die Erregung ebenso wie die aufkeimenden Zweifel des jungen Nietzsche am Christentum aus.
"Wild wogt der Wahn, wodurch bewegt das Wunder wallend mein Gemüth? o Zweifel schwinde daß ich Ruhe finde daß ich Ruhe finde o Wunder o Wunder o Wunder o Wunder, das mein Gemüth wild erregt laß mich Seeligkeit, Seelenruh finden"aus: Friedrich Nietzsches Hirtenchor in a-Moll, ›Wild wogt der Wahn‹ aus dem Jahr 1861
Die Nähe zum Dichter-Komponisten Wagner ist unverkennbar. Zu Ostern 1861 hatten sich Nietzsche und Krug im heimatlichen Naumburg getroffen und den Klavierauszug von ›Tristan und Isolde‹ studiert.
Am 25. Juli 1860 gründeten Nietzsche und seine engsten Jugendfreunde Gustav Krug und Wilhelm Pinder die musikalisch-literarische Vereinigung ›Germania‹. Zu den künstlerischen Beiträgen, die sich die drei Vereinsmitglieder regelmäßig zusandten und zur Diskussion stellten, gehörten neben einzelnen Teilen von Nietzsches ›Weihnachts-oratorium‹ auch dessen Lieder. Nachdem das großangelegte Oratorium gescheitert war, konzentrierte sich der Komponist nun, bis 1865, auf die Kleinform des Klavierstücks und vor allem auf das Lied.
SLUB Dresden / Deutsche Fotothek
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Drei ›Quickborn‹-Gedichte des niederdeutschen Lyrikers Klaus Groth (1819−1899) regten ihn zu drei Liedern an: ›Mein Platz vor der Thür‹, ›Da geht ein Bach‹ und das Klavierstück ›So lach doch mal!‹, das gleichsam als »Lied ohne Worte« überliefert ist.
Das Gedicht ›Mein Platz vor der Thür‹ wird Nietzsche, der schon drei Jahre dem strengen Reglement des Internats-lebens in Pforta ausgesetzt war, an seine eigene, glückliche Kindheit erinnert haben − das heimatliche Röckener Pfarrhaus, dessen Bild »nie seiner Seele entweichen« sollte und die unbeschwerten Ferienaufenthalte bei den Großeltern in Pobles. Die im schlichten Volkston gehaltene Komposition deutet den Text auf feinsinnig-humoristische Weise aus. (Hörprobe)
Goethe- und Schiller-Archiv, Klassik Stiftung Weimar
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Der Weg an unserm Zaun entlang,
wie wunderschön war das!
War morgens früh
mein erster Gang,
bis an das Knie im Gras,
da spielt ich bis zum Dämmerschein
mit Steinen und mit Sand;
Großvater holt’ mich Abends rein
und nahm mich bei der Hand.
Dann wünschte ich mir groß zu sein
und übern Zaun zu sehn.
Großvater meinte: laß das sein!
Wird früh genug geschehn!
Es kam so weit; ich hab besehn
die Welt da draußen mir,
es war darin nicht halb so schön
als damals an der Thür.
Klaus Groth: Mein Platz vor der Thür, aus der Gedichtsammlung: Quickborn, zuerst 1852 in niederdeutscher Sprache erschienen. Aus dem Niederdeutschen ins Hochdeutsche übertragen von Adolf von Winterfeld.
Goethe- und Schiller-Archiv, Klassik Stiftung Weimar
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SLUB Dresden / Deutsche Fotothek
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Aus der Pfortaer Zeit stammen auch die meisten seiner Klavierkompositionen. So auch mehrere »ungarische Skizzen«, zu denen ihn die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts beliebten slawischen Volkstänze und seine Beschäftigung mit Werken Franz Liszts inspirierten. (Hörpoben: ›Zigeunertanz‹ und ›Ungarischer Marsch‹ )
Die Reinschrift der beiden polnischen Tänze (›Mazurka‹ im untypischen 2/4-Takt) widmete er zum Weihnachtsfest des Jahres 1862 seiner Schwester Elisabeth, die er regelmäßig mit Klaviernoten versorgte. ›Unsrer Altvordern eingedenk!‹ betitelt er das Blatt und möchte sie damit wohl einmal mehr an ihre angebliche Herkunft aus einem polnischen Adelsgeschlecht erinnern. Lange Zeit pflegte er die Legende über den Ursprung der indes nachweislich aus der Lausitz stammenden Nietzsche-Familie. Die Klangschönheit und verhaltene Melancholie der Tänze lassen an die Musik des Polen Frédéric Chopin denken, der einer der großen Vorbilder des Komponisten Nietzsche war.
Goethe- und Schiller-Archiv, Klassik Stiftung Weimar
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Die vielfältigen autobiographischen Aufzeichnungen, Lebensrückblicke und Tätigkeitslisten in Nietzsches Nachlass zeugen von einem selbstverordneten überaus anspruchsvollen Bildungsprogramm eines hochgesinnten Jugendlichen.
1864 fasst der Pfortaer Primaner in einer Liste u.a. die Resultate seiner musikalischen Arbeiten des Vorjahres zusammen.
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Meine musikalische Thätigkeit im Jahre 1863.
Gespielt habe ich im ersten Theil des Jahres
viel Beethovensche Sonaten.
12 Haydn[sche] Symphonien.
späterhin Schuberts Fantasie.
Divertissement à l'hongroise
Lebensstürme.
Die Pastoralsinfonie.
Vor allem die 9te Sinfonie.
Componirt habe ich im Januar
»In einem kühlen Grunde« melodramatisch.
in den Hundstagen aufgeschrieben:
»So lach doch mal.«
Im Kopf ersonnen: das Allegro einer
Sonate 4 h[ändig], vergessen.
Das Adagio dazu, nicht vergessen.
»In den Weihnachtsferien:
»Eine Sylvesternacht« für Viol[ine] u. Klavier
aufgeschrieben.
Gedichtet habe ich vor Hundstagen:
Untreue Liebe
Vor dem Cruzifix Heimkehr, fünf Lieder
Am Meeresstrand Vorspiel
Klang aus der Ferne An ein Rosenblatt.
Ueber den Gräbern. Der alte Ungar.
Jetzt u. einstmals. Vor fünfzig Jahren.
Jetzt u. ehedem. Beethovens Tod.
Rhapsodie.
[Zweite Spalte] nachher:
Heimkehr, fünf Lieder
Vorspiel
An ein Rosenblatt.
Der alte Ungar.
Vor fünfzig Jahren.
Beethovens Tod.
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Unter den in der Liste aufgeführten Kompositionen ist das Melodram ›In einem kühlen Grunde‹, das auch unter dem Titel ›Das zerbrochene Ringlein‹ bekannt ist. Es ist Nietzsches einziges vollendetes Werk im Genre des Melodrams.
Der Titel des Klavierstücks ›So lach doch mal‹ weist auf eins der ›Quickbornlieder‹ Klaus Groths, die Nietzsche zu verschiedenen Kompositionen angeregt haben. ›Eine Sylvesternacht‹ für Violine und Klavier war in den Weihnachtsferien, die der Komponist in unbeschwerter Stimmung mit Mutter und Schwester bei den Verwandten in Gorenzen verbracht hatte, entstanden. (Hörproben: ›Das zerbrochene Ringlein‹, ›So lach doch mal‹ und ›Eine Sylvesternacht‹)
In einem kühlen GrundeJoseph von Eichendorff, Das zerbrochene Ringlein, erstmals 1813 erschienen
da geht ein Mühlenrad,
Meine Liebste ist verschwunden,
die dort gewohnet hat.
Sie hat mir Treu versprochen,
gab mir ein‘n Ring dabei,
Sie hat die Treu gebrochen,
das Ringlein sprang entzwei. /
Ich möcht‘ als Spielmann reisen
wohl in die Welt hinaus
und singen meine Weisen
und gehn von Haus zu Haus.
Ich möcht als Reiter fliegen
wohl in die blutge Schlacht,
um stille Feuer liegen
im Feld bei dunkler Nacht.
Hör ich das Mühlrad gehen,
ich weiß nicht, was ich will,
ich möcht am liebsten sterben,
da wär’s auf einmal still.
In seinen insgesamt 15 Liedkompositionen auf Texte von Klaus Groth, Hoffmann von Fallersleben, Friedrich Rückert, Puschkin, Petöfi und Chamisso folgt Nietzsche dem romantischen, von Schubert und Schumann geprägten Liedstil seiner Zeit. In Bonn, wo er 1864/65 Theologie und Altphilologie studierte, entstanden gleich zu Beginn des Wintersemesters 12 Lieder. Die neuen Erfahrungen des Studentenlebens, die Erlebnisse in der Burschenschaft ›Frankonia‹, Konzert- und Opernbesuche und die Mitgliedschaft im Städtischen Gesangsverein hatten ihn in Hochstimmung versetzt.
Goethe- und Schiller-Archiv, Klassik Stiftung Weimar
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Adelbert von Chamisso (1781-1838), UngewitterUngewitter
Auf hohen Burgeszinnen
der alte König stand
und überschaute düster
das düster umwölkte Land.
Es zog das Ungewitter
mit Sturmesgewalt herauf.
Er stützte seine Rechte
auf seines Schwertes / Knauf.
Die Linke der entsunken
das goldne Zepter schon,
hielt noch auf finstrer Stirne
die schwere, goldne Kron.
Da zog ihn seine Buhle
leis an des Mantels Saum,
»Du hast mich einst geliebet,
du liebst mich wohl noch / kaum?«
»Was Liebe, Lust und Minne?,
laß ab, du süße Gestalt!
Das Ungewitter ziehet
herauf mit Sturmesgewalt.
Ich bin auf Burgeszinnen
nicht König mit Schwert u. Kron,
ich bin der empörten Zeiten
unmächtiger bangender Sohn.
Was Lieb und Lust und Minne?
Laß ab du süß Gestalt!
Das Ungewitter ziehet
herauf mit Sturmesgewalt.«
Das hier gezeigte Bändchen mit acht Kompositionen sandte Nietzsche Mutter und Schwester als »kleine Weihnachtsgabe« nach Naumburg. Er schrieb dazu: »Sie sind sehr mannigfaltig, und ich freue mich, daß meine Seele mehr und häufiger musikalischen und lyrischen Schwung hat als früher.« Weiter heißt es in dem Brief: »Darum stellt mich auch meine Photographie dar, wie ich componiere, und ich glaube, daß sie deshalb besser geworden; denn ich dachte und empfand doch etwas in den Augenblicken der Aufnahme.«
Die erwähnte Fotografie war auf die Innenseite des vorderen Deckels montiert worden. An dieser Stelle sind heute nur noch die Klebespuren zu sehen. Diese und ein weiterer Abzug aus dem Bonner Fotoatelier J. Fülles & J. Ludwig, der an seine Tanten Rosalie Nietzsche und Friederike Daechsel gegangen war, sind verschollen. Erhalten ist das Carl von Gersdorff gewidmete Foto.
Goethe- und Schiller-Archiv, Klassik Stiftung Weimar
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Sein neustes Foto hatte Nietzsche auch dem Freund Carl von Gersdorff (1844−1904) zugedacht. Wie der Widmung zu entnehmen ist, wird dieser es um den Jahreswechsel 1864/65 erhalten haben. Ein Übersendungsschreiben ist nicht bekannt. Gersdorff bedankt sich für das Foto in einem Brief an Nietzsche vom 5. Februar 1865 aus Pforta, wo sich die Freunde zwei Jahre zuvor kennengelernt hatten.
Der hier gezeigte Originalabzug des bislang unbekannten Fotos ist mit der Übernahme der Nietzsche-Sammlung Burger durch die Klassik Stiftung Weimar Ende 2019 an das Goethe- und Schiller-Archiv gelangt und zum ersten Mal in einer Ausstellung zu sehen.
Goethe- und Schiller-Archiv, Klassik Stiftung Weimar
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Die ›Junge Fischerin‹ ist Nietzsches einzige Vertonung eines eigenen Gedichts. (Hörprobe) Dieses war in den Sommerferien 1862 im Pfarrhaus seines Onkels Edmund Oehler in Gorenzen entstanden – das Lied drei Jahre später, kurz bevor er Bonn verließ, um seinem Lehrer Friedrich Ritschl an die Universität Leipzig zu folgen. Er widmete es seiner Schwester Elisabeth zum 19. Geburtstag und sandte es in der zweiten Fassung kurz nach dem 10. Juli 1865 nach Naumburg.
Das Lied ist eine der interessantesten Kompositionen Nietzsches, die vor allem in ihrer überabeiteten, balladenhaften Version beeindruckt. Die flüssige, schwungvolle Faktur des Manuskripts belegt ein sicheres, freies kompositorisches Empfinden des inzwischen 20-jährigen Tonkünstlers. »Ein Lied im höchsten Zukunftsstile mit einem natürlichen Aufschrei und dergleichen Ingredienzen einer stillen Narrheit«, kündigt er das Werk seiner Schwester an.
Goethe- und Schiller-Archiv, Klassik Stiftung Weimar
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(Mit verhaltener Leidenschaft.)
Des Morgens still ich träume
und schau den Wolken nach,
wenn leise durch die Bäume
zittert der junge Tag.
Die Nebel wogen (gespenstisch) und wallen,
das Frühroth drüber hin – /
niemand weiß von allen,
daß ich so traurig bin. – /
(immer – leiser – werdend)
Die See wogt kühl und leise
vorbei ohn Rast und Ruh,
mir schauert (stärker) eigner (schwächer) eigner (stärker) Weise
Ich drücke (geängstet) mir die Augen zu –
Mag nicht die Nebel sehn – /
Lauert der Tod darin? (aufschreiend)
Ach (leise) niemand kann verstehen
was ich so zage bin. –
Mit meinen thränenfeuchten Augen
such ich dich –
Im Frühroth (drängend – immer schneller) seh ichs leuchten,
ja du grüßest mich –
Du / kommst (immer – schneller –) durch Nebelhüllen,
reitest auf dem Wind,
Du kommst (Langsam) das Herz zu stillen
stillen (ganz langsam) dem armen Fischerkind. –
Friedrich Nietzsche, ›Junge Fischerin‹, 1865
Euphorisch berichtet Nietzsche Erwin Rohde am 9. November 1868 von seiner ersten persönlichen Begegnung mit Richard Wagner, die einen Tag zuvor im Haus von dessen Schwester Ottilie Brockhaus in Leipzig stattgefunden hatte. »Wagner, wie ich ihn jetzt kenne«, schreibt er einen Monat später an ihn, »aus seiner Musik, seinen Dichtungen seiner Aesthetik, zum nicht geringsten Theile aus jenem glücklichen Zusammensein mit ihm, ist die leibhaftigste Illustration dessen, was Schopenhauer ein Genie nennt.« Aus der gemeinsamen Schopenhauer-Begeisterung erwuchs ein Freundschaftsbund, den Nietzsche später zur »Sternen-Freundschaft« verklären sollte.
Goethe- und Schiller-Archiv, Klassik Stiftung Weimar
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[Vor und nach Tisch spielte Wagner und]
zwar alle wichtigen Stellen der Meister-
singer, indem er alle Stimmen imitirte
und dabei sehr ausgelassen war. Es ist näm-
lich ein fabelhaft lebhafter und feuriger Mann,
der sehr schnell spricht, sehr witzig ist und eine
Gesellschaft dieser privatesten Art ganz heiter macht.
Inzwischen hatte ich ein längers Gespräch mit
ihm über Schopenhauer: ach, und Du begreifst es,
welcher Genuß es für mich war, ihn mit ganz unbe-
schreiblicher Wärme von ihm reden zu hören, was er
ihm verdanke, wie er der einzige Philosoph sei, der
das Wesen der Musik erkannt habe: dann erkun-
digte er sich, wie sich jetzt die Professoren zu ihm
verhalten, lachte sehr über den Philosophencongress
in Prag und sprach »von den philosophischen Dienst-
männern.« Nachher las er ein Stück aus seiner
Biographie vor, die er jetzt schreibt, eine überaus
ergötzliche Scene aus seinem Leipziger Studien-
leben, an die ich jetzt noch nicht ohne Gelächter
denken kann; er schreibt übrigens außerordentlich
gewandt und geistreich. […]
Sein erstes bedeutendes Werk, ›Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik‹, widmet er Richard Wagner. Frühe Skizzen reichen in den Winter 1868/69 zurück. Anfang 1872 erscheint das Buch bei Ernst Wilhelm Fritzsch in Leipzig. Aufgeschlagen ist das Kapitel 22, wo eine Verbindung hergestellt wird zwischen dem »tragischen Mythus« und Isoldes »metaphysischem Schwanengesang« am Ende der Oper ›Tristan und Isolde‹.
In Wagners Musikdrama sah Nietzsche sein Postulat von der Rückbesinnung auf die griechische Tragödie sowie eine Balance zwischen dem »Dionysischen« und dem »Apollinischen« verwirklicht – in der Wiederkehr eines »dionysischen Musikrausches«, der es möglich mache, den Zwängen der menschlichen Realität entrückt zu werden und sich dem »metaphysischen Trost«, dem »Übernatürlichen« zu nähern.
Hier finden sie das gesamte Digitalisat des Buches.
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Im Jahr 1869 wird Nietzsche, noch vor seiner Promotion und Habilitierung, zum außerordentlichen Professor für klassische Philologie an die Universität Basel berufen.
In Basel entsteht im Jahr 1871 die Komposition ›Nachklang einer Sylvesternacht, mit Prozessionslied, Bauerntanz und Glockengeläut‹. (Hörprobe) Mit dieser Klavierkomposition beginnt die letzte intensive Kompositionsphase Nietzsches, in der er vor allem auf frühere Produktionen zurückgreift. Das Hauptmotiv des ›Nachklangs‹ entnahm er seiner Komposition ›Sylvesternacht‹ für Violine und Klavier von 1863/64, an die er sich 1871, nach glücklich verbrachten Herbsttagen mit den Jugendfreunden in Naumburg, wieder erinnert. Gustav Krug beschreibt er die Komposition so: »sie hat etwas Populäres, gerät nie in’s Tragische, wenn auch in’s Ernste und Wehmüthige. Mitunter ist sie triumphirend, ja auch schmerzlich ausgelassen, kurz – wenn Du Dich unserer Ferienstimmung erinnern willst … so wirst Du eine Exemplikation dieser ›dionysischen Manifestation‹ haben. Das Ganze ist auf wenig Themen aufgebaut, in der Tonfarbe freilich orchestral, ja förmlich gierig nach Orchestration, aber Du weißt – hier kann ich nicht mehr mit.«
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Gustav Krug, der selbst wieder eifrig komponiert, lernt das Werk kennen und ist begeistert: »Während jene ältere Sylvesternacht ein buntscheckiges, phantastisches, etwas ungeordnetes Wesen war«, schreibt er Nietzsche nach Basel, »tritt die neue fest und sicher, mit richtiger Vertheilung der Farben auf, so daß gleich der erste Eindruck ein höchst günstiger war.«
Seine Komposition widmete Nietzsche abermals Mutter und Schwester. Eine Abschrift sandte er Cosima Wagner zu ihrem Geburtstag am 25. Dezember in Wagners Landhaus nach Tribschen, unweit von Luzern. Doch dort machte man sich über das Stück lustig. Wie gern hätte es Nietzsche einmal mit Cosima vierhändig gespielt. Dazu sollte es allerdings nicht mehr kommen: Im Frühjahr 1872 weilte er zum letzten Mal in Tribschen und musste beim Packen helfen, denn Wagners zogen nach Bayreuth und das vertraute Verhältnis wurde brüchig. – Wie tief Nietzsches Zuneigung zu Cosima war, zeigen noch die »Wahnsinnszettel« des Umnachteten, auf denen er sich »Dionysos« und sie seine »Ariadne« nennt.
Mehr als 20 erfüllte Wochenenden hatte der Basler Philologieprofessor von 1869 bis 1874 mit Richard und Cosima Wagner in Tribschen verlebt. Als er sich im August 1874 »nach schwersten aesthetischen Gewissens-Proben« auch mit der Musik Johannes Brahms’ auseinandersetzt, löst das in Tribschen erste Irritationen aus. Zum letzten Mal begegnen sich Wagner und der nach den Bayreuther Festspielen verstörte Nietzsche im September 1876 in Sorrent. Seine innerliche Abkehr von Wagner beginnt und sollte über dessen ›Parsifal‹ zum Bruch führen.
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Wie ich von Wagner loskam.
I.
Schon im Sommer 1876, mitten in der Zeit der ersten Festspiele, nahm ich bei mir von Wagner Abschied. Ich vertrage nichts Zweideutiges; seitdem Wagner in Deutschland war, condescendierte er (– selbst zum Antisemitismus...) Schritt für Schritt zu Allem, was ich verachte Es war in der That damals die höchste Zeit, Abschied zu nehmen: alsbald schon bekam ich den Beweis dafür. Richard Wagner, scheinbar der Siegreichste, in Wahrheit ein morsch gewordener verzweifelnder décadent, sank plötzlich, hülflos und zerbrochen, vor dem christlichen Kreuze nieder... Hat denn kein Deutscher für dies schauerliche Schauspiel damals Augen im Kopfe, Mitgefühl in seinem Gewissen gehabt? War ich der Einzige, der an ihm – litt? – Genug, mir selbst gab das unerwartete Ereignis wie ein Blitz Klarheit über den Ort, den ich verlassen hatte – und auch jenen nachträglichen Schauder, den Jeder empfindet, der unbewußt durch eine ungeheure Gefahr gelaufen ist. Als ich allein weiter gieng, zitterte ich; nicht lange darauf war ich krank, mehr als krank, nämlich müde, – müde aus der unaufhaltsamen Enttäuschung über Alles, was uns modernen Menschen zur Begeisterung übrig blieb, über die allerorts vergeudete Kraft, Arbeit, Hoffnung, Jugend, Liebe, müde aus Ekel vor der ganzen idealistischen Lügnerei und Gewissens-Verweichlichung, die hier wieder einmal den Sieg über Einen der Tapfersten davongetragen hatte, müde endlich, und nicht am wenigsten, aus dem Gram eines unerbittlichen Argwohns – daß ich nunmehr verurtheilt sei, tiefer zu mißtrauen, tiefer zu verachten, tiefer allein zu sein als je vorher. Denn ich hatte Niemanden gehabt als Richard Wagner... Ich war immer verurteilt zu Deutschen...
Am 15. Dezember 1888 sandte Nietzsche die endgültige Version, sein Verhältnis zu Wagner schriftstellerisch zu fassen, an seinen Leipziger Verleger Constantin Georg Naumann: »hier kommt noch ein schönes Manus[c]ript, etwas Kleines, aber sehr gut Gerathenes, auf das ich stolz bin. Nachdem ich im ›Fall Wagner‹ eine kleine Posse geschrieben habe, kommt hier der Ernst zu Wort: denn wir – Wagner und ich – haben im Grunde eine Tragödie mit einander erlebt.«
Nietzsche sollte den Druck seines ›Nietzsche contra Wagner‹ nicht mehr bewusst erleben. Kurz vor seinem geistigen Zusammenbruch im Januar 1889 in Turin stoppte er die Veröffentlichung zugunsten seines ›Ecce Homo‹.
Das Werk erschien erst 1895 in der Großoktavausgabe des Nietzsche-Archivs.
Nach einer Aufführung von Bizets ›Carmen‹ am 27. November 1881 im Teatro Politeama schreibt Nietzsche aus Genua: »Hurrah! Freund! Wieder etwas Gutes kennengelernt, eine Oper von François Bizet (wer ist das): ›Carmen‹ […] Ein echt französisches Talent der komischen Oper, gar nicht desorientiert durch Wagner […].« Voller Begeisterung besorgt er sich einen Klavierauszug des »höchst südländischen Werkes«, das er zu seinen »Glücksgütern« in jenem Winter zählt. Er versieht den Band mit vielen zwanglosen und äußerst feinfühligen »Randglossen« und sendet ihn Köselitz nach Venedig. Bewegt dankt dieser am 7.1.1882: »Den größten Genuss gewährt es mir, Ihre interessanten Notizen zur Musik zu lesen, aus denen mir von Neuem hervorgeht, dass Sie viel musikalischer sind, als ich, der Musikant!«
Nietzsche besuchte noch viele ›Carmen‹-Aufführungen, auch später in Turin, um sich von den »leichten, kühnen, ausgelassnen, selbstgewissen Rhythmen« der Oper beglücken zu lassen. Im ›Fall Wagner‹ (1888) rühmt er die Vorzüge des Werkes gegenüber dem überhitzten »Scirocco« des Wagnerschen Orchesterklanges.
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Zum Zwischenspiel Andante moderato (Seite 4), in dem Carmens »Schicksalsmotiv« zum ersten Mal erklingt, bemerkt Nietzsche in Randnotizen: Ein Epigramm auf die Leidenschaft, das Beste, was seit Stendhal sur l’amour [Stendhal (1783−1842) ›De l’amour‹] geschrieben worden ist. / Hier ist der Klavierauszug sehr ungenügend, auf Seite 5, 1. Akt, 1. Szene und Chor: Höchst angenehmes gedämpftes Rauschen.
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Zu Weihnachten 1874, als Nietzsche seine Ferien bei Mutter und Schwester in Naumburg verbrachte, widmete er sich »alles Denken und Sinnen hinter sich lassend« ganz seiner Musik. Er ordnete seine Jugendkompositionen und bearbeitete sein letztes größeres Werk für Klavier zu zwei Händen. »Der Hymnus an die Freundschaft ist jetzt zweihändig und vierhändig anzustimmen«, teilt er Malwida von Meysenbug in Rom mit, »ich bin sehr zufrieden damit. Wollte Gott, es wäre ein anderer Mensch, zumal meine Freunde! Möchte meine Musik ein Beweis dafür sein, dass man seine Zeit vergessen kann, und dass darin Idealität liegt!«
Eine vierhändige Fassung hatte Nietzsche im Frühjahr 1874 in Basel vollendet und mit Franz Overbeck in der gemeinsam bewohnten »Baumannshöhle« vielfach gespielt. Abschriften waren an Gustav Krug und Wilhelm Pinder gegangen. Ein Jahr zuvor hatte er seine Freunde aufgerufen, den Text für die Komposition, die er für Chor und Orchester vorsah, mitzugestalten. Im Brief an Erwin Rohde vom 5. Mai 1873 gab er ein metrisches Schema und den Vers »Freunde, Freunde! haltet fest zusammen!« vor. Doch die Einsendungen blieben aus und Nietzsche komponierte den Hymnus ohne Text – mit instruktiven Untertiteln und vielen Vortragsanweisungen, um seinem Ideal eines Freundschaftsbundes höchsten musikalischen Ausdruck verleihen zu können. (Hörprobe)
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Die ungelenken Verse der noch jungen Schriftstellerin und die Melodie des ›Hymnus’‹, für den Nietzsche acht Jahre zuvor keinen geeigneten Text gefunden hatte, verschmolz er nun in einem Lied für Singstimme und Klavier. Schließlich veranlasste er seinen »Maëstro« Peter Gast (Heinrich Köselitz), eine Chorfassung mit Orchester zu erarbeiten. Er hoffte, dass sein ›Hymnus‹, dem er besondere Geltung verschaffen wollte, öffentlich aufgeführt und »die Menschen zu [seiner] Philosophie verführen« könne.
Unter Verwendung auch der zweiten Strophe des Gedichts setzte Gast 1886 die Partitur für Chor und Blasorchester. Ein Jahr später legte er Nietzsche eine revidierte Fassung für Chor und großes Orchester vor, die unter dem Titel ›Hymnus an das Leben‹ 1887 bei Fritzsch in Leipzig erschien. (Hörprobe)
Der dreifachen Autorschaft der Komposition versuchte Nietzsche in einem Titelvorschlag gerecht zu werden. Diesen hatte er Gast und seinem Leipziger Verleger unterbreitet. Fritzsch jedoch bestand darauf, die Ausgabe allein unter Nietzsches Namen zu publizieren.
Goethe- und Schiller-Archiv, Klassik Stiftung Weimar
Klassik Stiftung Weimar
Gewiß, so liebt ein Freund den Freund,Lou von Salomé, Hymnus an das Leben, 1887
Wie ich dich liebe, räthselvolles Leben!
Ob ich in dir gejauchzt, geweint,
Ob du mir Leid, ob du mir Lust gegeben,
Ich liebe dich mit deinem Glück und Harme,
Und wenn du mich vernichten mußt,
Entreiße ich mich schmerzvoll deinem Arme,
Wie Freund sich reißt von Freundes Brust.
Mit ganzer Kraft umfaß ich dich, –
Laß deine Flammen meinen Geist entzünden
Und in der Gluth des Kampfes mich
die Räthsellösung deines Wesens finden!
Jahrtausende zu denken und zu leben,
Wirf deinen Inhalt voll hinein!
Hast du kein Glück mehr übrig, mir zu geben,
Wohlan! Noch hast du – deine Pein …
L[ou] S[alomé]
Lou Andreas-Salomé Archiv, Göttingen
Lou Andreas-Salomé Archiv, Göttingen
Herzogin Anna Amalia Bibliothek, Klassik Stiftung Weimar
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Die Partiturausgabe seines philosophischen »Glaubensbekenntnisses in Tönen« sandte Nietzsche im Oktober 1887 an viele treue Freunde. Peter Gast übernahm die Versendung der Freiexemplare an Dirigenten wie Hermann Levi, Hans von Bülow und Carl Riedel. Nietzsche hatte Felix Mottl in Karlsruhe gefragt: »Halten Sie diesen Hymnus eines Philosophen für möglich … für aufführbar?«, und hinzugefügt, »ich wünsche, dass dieses Stück Musik ergänzend eintreten möge, wo das Wort des Philosophen nach der Art des Wortes nothwendig undeutlich bleiben muß. Der Affekt meiner Philosophie drückt sich in diesem Hymnus aus.«
Nietzsches Hoffnungen auf eine baldige Aufführung des Werkes zerschlugen sich. Erst 1893 gelangte es unter der Leitung von Peter Gast in dessen Heimatstadt Annaberg zur Uraufführung.
Goethe- und Schiller-Archiv, Klassik Stiftung Weimar
Klassik Stiftung Weimar
»Lieber Gustav,
hiermit übersende ich Dir als mei-
nem ältesten Freund und Bruder in
arte musica, das Einzige, was von
meiner Musik übrig bleiben soll –
eine Art Glaubensbekenntniß in
Tönen, das sich dazu eignen möchte,
einmal »zu meinem Gedächtniß« ge-
sungen zu werden. Denn so ein Phi-
losoph, wie ich, der durchaus keine
Gegenwart hat und haben will, hat
vielleicht ebendamit eine kleine An-
waltschaft auf »Zukunft« – […]«
Diese Ausstellung wurde am 30.04.2020 veröffentlicht.
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