Die Sprache der Mikroben
In Bibliotheken zersetzen Mikroben diejenigen Objekte, deren Erhalt sämtliche Mühe gilt. Mikroben sind hier Störenfriede der geordneten Kultur und können vor allem eines: Unruhe stiften. Sie sind Instanzen einer Verfallsgeschichte der Sammlung, in der Natur letztlich immer über Kultur obsiegt. Um die Lebensdauer der toten Objekte zu verlängern, rückt man den „buchfeindlichen Organismen“ mit Bioziden zu Leibe. Und auch außerhalb von Sammlungen sind Bakterien die Lebewesen mit dem schlechtesten Image, die nur noch von Viren übertroffen werden.
Aber ist die Mikrobe im Buch – entgegen der Idee von der zerstörerischen Kontamination – auch als Teil des Kulturgutes verstehbar? Inwieweit könnte die Mikrobe im alten Buch ein buchbiographisches Objekt mit Zeichencharakter sein? Hilft sie uns ähnlich einer Sonde, frühere Orte des Buches zu lokalisieren oder Hinweise auf Nutzer zu geben? Könnte die Mikrobe demnach zu einer vermittelnden Instanz der Entstehungsgeschichte des Buches oder gar der Bibliothek werden, so wie sie bereits Instanz der Entstehungsgeschichte der natürlichen Welt und ihrer biologischen Reiche ist? Mit welchen anderen Organismen hat die Mikrobe im Buch ‚zu kämpfen‘ oder zu kooperieren (z. B. Insekten und Pilzen), wie ist das Mikrobiom des Buches strukturiert?