Team & Interview
Ausstellungsteam
Eine virtuelle Ausstellung der Deutschen Digitalen Bibliothek.
Kuration
Dr. Silke Röckelein (silke.roeckeleinATweb.de)
Koordination (DDB)
Stephan Bartholmei
Lisa Landes
Programmierung
Dank an
Denise Baumgart
Frank von Hagel
Gisela Schulte-Dornberg
Ute Schwens
Dr. Jörn Sieglerschmidt
Interview mit der Kuratorin
DDB: Frau Röckelein, im audiovisuellen und erst recht im digitalen Zeitalter kennt jeder Michael Jacksons „Moonwalk”, Psys „Gangnam Style” und Beyoncés „Single Ladies”. Wie haben sich in früheren Jahrhunderten Modetänze verbreitet?
S. Röckelein: Mode-, Gesellschafts- und auch Volkstänze verbreiteten sich in erster Linie durch Nachtanzen, also durch die direkte Weitergabe der Erfahrenen an die Anfänger, der Alten an die Jungen. Dabei war man auf eine möglichst authentische Überlieferung angewiesen, um den ursprünglichen Charakter des Tanzes weitgehend zu bewahren.
Darüber hinaus hatte man die Möglichkeit, Tänze mit Worten zu beschreiben, wobei eine Bewegungsfolge in Worte zu fassen, natürlich eine besondere Herausforderung darstellt. Zugleich konnte man den Tänzer selbst in unterschiedlichen Positionen bildnerisch darstellen, und nicht zuletzt erlaubte die Entwicklung der Tanznotation, Tänze mittels einer Art Zeichensprache festzuhalten.
Es gab also vielseitige Möglichkeiten, Tanz zu dokumentieren und zu überliefern. Doch diese mussten gezwungenermaßen bruchstückhaft bleiben, denn sie transportierten immer nur einzelne Eigenschaften des Tanzes und nicht den Tanz in seiner Flüchtigkeit und all seinen Facetten (also Bewegung, Zeit, Raum, Musik usw.).
DDB: In Ihrer Virtuellen Ausstellung nähern Sie sich dem Tanz – einer der ältesten Kultur- und Kunstformen des Menschen – über das Medium Internet. Welche Vor- bzw. Nachteile hatte für Sie diese Art der Online-Publikation?
S. Röckelein: Da der Tanz idealerweise nur durch ein Zusammenspiel von Bild-, Text-, Ton- und Filmmaterial sowie neuerdings durch spezielle Computerprogramme zu dokumentieren ist, muss ein Archiv des Tanzes multimedial sein. Nur so kann man dem Anspruch, ihn vollständig zu erfassen, nahe kommen. Das Internet bietet die Möglichkeit dieser Multimedialität. Es erlaubt zudem, durch Verlinkungen von der vorgegebenen Reihenfolge abzuweichen und Objekte in neue, unerwartete Zusammenhänge zu stellen. Diese Gegenüberstellungen machen deutlich, dass sich eine Tanzfigur, also beispielsweise der Port de Bras, über die Jahrhunderte kaum verändert, jedoch die Art seiner Dokumentation sich dem technischen Fortschritt angepasst hat. Das digitale Zeitalter hat erstaunliche Lösungen für die Archivierung von Tanz entwickelt, und eine Ausstellung im Internet wird dieser Tendenz gerecht.
Darüber hinaus verwandelt eine Ausstellung im Internet den „Ausstellungsbesucher“ vom passiven Rezipienten zum aktiven Teilnehmer, indem ihm die Möglichkeit geboten wird, über die „Grenzen“ der Ausstellung hinaus Links zu folgen, Stichwörter und neue Objekte selbstständig zu recherchieren. Er kann damit das Thema der Ausstellung nach seinen eigenen Interessen erweitern.
Allerdings verbleiben die Objekte in dieser Art Online-Präsentation natürlich in der Virtualität. Dem „Ausstellungsbesucher“ wird dabei der unmittelbare Kontakt zum physischen Objekt (Buch, Bild, Tanzfigur, Modell etc.), also das Erlebnis seiner Präsenz im Hier und Jetzt, vorenthalten.
Doch schließlich ist es ja genau diese Immaterialität, die das Wesen des Tanzes darstellt und die ihn so schwer fassbar macht. Sie findet ihre Entsprechung in der Virtualität des Mediums Internet.
DDB: Ist es Zufall, dass das innerhalb der Ausstellung meistverlinkte Exponat, die „Tanzschreibekunst” von Friedrich Albert Zorn ein Produkt des 19. Jahrhunderts ist? Im Zuge der Beschleunigung des Lebens durch die Industrialisierung haben auch viele Maler, z.B. William Turner, versucht, Bewegung darzustellen.
S. Röckelein: Tänzerische Bewegung wurde schon in der Kunst des Altertums und in jeder Epoche der Kunstgeschichte thematisiert. Diese Darstellungen sind meist als Momentaufnahmen einer tänzerischen Darbietung zu verstehen und dienen nicht in erster Linie als Illustrationen zum Nachtanzen. Die Kunst und die Naturwissenschaften des 19. und frühen 20. Jahrhunderts allerdings beschäftigen sich tatsächlich aufgrund der technischen Entwicklungen mit besonderer Hingabe mit jeder Art von Bewegung. Man mochte sie nun nicht mehr nur darstellen, sondern auch berechnen, systematisieren, mechanisch herstellen, simulieren.
Die Veröffentlichungen von Friedrich Albert Zorn sind vor diesem Hintergrund entstanden. Zudem wendet sich Zorn ja ausdrücklich an alle Tanzinteressierte und nicht wie die Autoren des 18. Jahrhunderts vor allem an das adelige tanzende Publikum. Zorn beschreibt somit eine ganz andere Bandbreite von Tänzen, also neben den klassischen Ballett-Figuren und den französischen Gesellschaftstänzen auch Volks- und Paartänze, wie den Walzer oder die Polka, die in der Zeit vor Zorn und bis heute nicht nur bekannt, sondern auch ausgesprochen populär waren und sind. Schließlich beschäftigt er sich nicht nur mit den unterschiedlichen Tanzschritten, wie das bei Feuillet noch der Fall war, sondern auch mit der Kopf-, Arm- und Körperhaltung. Seine Tanzschrift bezieht also den gesamten tanzenden Körper ein. Auch hierdurch sind die zahlreichen Bezüge der anderen Ausstellungsobjekte zur Zorn’schen Grammatik der Tanzkunst erklärbar.
DDB: Sind Sie über ihre wissenschaftliche Arbeit auf das Thema „Archivierung von Tanz” gestoßen?
S. Röckelein: Mein Zugang zum Thema erfolgte durch meine Auseinandersetzung mit digitalen Archiven – konkret beim Aufbau des Nachlassarchivs des Kunsthistorikers und Psychiaters Hans Prinzhorn, dann als freie Mitarbeiterin im Digitalen Kunst- und Kulturarchiv, Düsseldorf (Mitglied im Kompetenznetzwerk der DDB). Aktuell bin ich am Aufbau eines digitalen Archivs der Stiftung Insel Hombroich, Neuss, beteiligt.
Die Herausforderung besteht unter anderem darin, nicht nur Objekte spartenübergreifender Sammlungen, sondern auch immaterielles Kulturgut, also beispielsweise „Ereignisse“ wie Tanz- und Theateraufführungen, Performances, Kunstpreisverleihungen, Festivals etc., zu erschließen, auffindbar zu machen und miteinander zu verknüpfen. Das Thema „Archivierung von Tanz“ bot sich an, um die Möglichkeiten der Deutschen Digitalen Bibliothek anhand einer Kunstform, die eben kein Objekt bietet sondern vergänglich ist und „nur“ Spuren hinterlässt, zu nutzen und zu präsentieren.