Im Fokus: Die Kirchenruine als Motivikone
Auffallend häufig zeigen Zeitungen, Postkarten, Fotobücher und auch Nachrichtenfilme aus dem Ersten Weltkrieg Bilder von Kirchenruinen. Vor allem an der Westfront erlitten zahlreiche Kirchen durch Artilleriebeschuss gravierende Schäden bis hin zur Totalzerstörung, darunter etwa die gotische Sint-Niklaas-Kirche im belgischen Diksmuide oder die berühmte Kathedrale von Reims. Ganz ähnliche Bilder solcher Zerstörungen kursierten bereits von den ersten Kriegswochen an in großer Zahl und ließen die Kirchenruine zu einer Motiv-Ikone werden, die zeitgenössische wie auch spätere Vorstellungswelten vom Ersten Weltkrieg nachhaltig prägen sollte.
In den damaligen Gesellschaften Europas, für die das Christentum und seine Institutionen noch eine weitaus bedeutendere Rolle spielte als zu späteren Zeiten, entfalteten solche Bilder eine starke Wirkung. Propaganda-Strategen der kriegsbeteiligten Länder suchten diese Wirkung vor allem für Mobilisierungszwecke zu nutzen. So verbreiteten die Entente-Mächte Aufnahmen von Kirchenruinen weitläufig, um die Bevölkerung von der Notwendigkeit des Weiterkämpfens zu überzeugen und gegenüber dem neutralen Ausland die Kriegführung des Feindes als barbarisch zu brandmarken.
Die deutsche Propaganda konnte diese Strategie nicht ohne Weiteres übernehmen, da überwiegend französische und belgische Kirchen dem Krieg zum Opfer fielen. Deutsche Filmnachrichten vermittelten dem Publikum daher häufig in Zwischentiteln, dass der Feind für die gezeigten Zerstörungen verantwortlich sei – entweder, weil er bei Rückeroberungsversuchen eigene Städte unter Beschuss nehme, oder aber, weil er Kirchen für militärische Zwecke missbrauche. Bereits 1914 wies der Generalstab Kamera-Operateure an, in den besetzten Gebieten systematisch Aufnahmen zu drehen, die sich für solche Darstellungen verwenden ließen.