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Die Theatralität des Tatsächlichen

Gefechtsaufnahmen aus dem Ersten Weltkrieg zeigen gewöhnlich keine Gefechte aus dem Ersten Weltkrieg. Zum ganz überwiegenden Teil wurden sie abseits der Front bei Manövern gedreht oder eigens für die Kamera inszeniert. Solche Aufnahmen wurden von ihren Herstellern gewöhnlich mit Bildern aus der Etappe – etwa von marschierenden Soldaten oder zerstörten Gebäuden – zu Nachrichtenfilmen montiert, die vorgaben, ein militärisches Ereignis von besonderer Bedeutung zu dokumentieren. La Bataille de l’Ancre (Frankreich 1917), La Battaglia tra Brenta e Adige (Italien 1916) oder Die Schlacht zwischen Aisne und Marne (Deutschland 1918) sind sprechende Titel solcher Schlachtenfilme, in denen fast nie Kämpfe zwischen verfeindeten Truppen zu sehen sind. Oft gibt bereits die Position der Kamera zu erkennen, dass eine Aufnahme nicht während tatsächlicher Kampfhandlungen entstanden sein kann.

Die Gründe, die das Entstehen von Filmaufnahmen tatsächlicher Kampfhandlungen verhinderten, waren vielgestaltig: Nur wenige Kameramänner erhielten Zugang zur Front. Vor Ort ließen die befehlshabenden Offiziere kaum zu, dass etwa Aufnahmen von Kriegstoten oder Schwerstverwundeten entstanden. An vorderster Front ließen sich die schweren und unhandlichen Kurbelkameras kaum zum Einsatz bringen, ohne sich in Lebensgefahr zu begeben – die damals neuartige „Präzisionskamera Modell XIV“ von Messter etwa wog nicht weniger als 14 Kilo und zählte damit noch zu den leichteren Modellen. In der Regel gingen Kameramänner angesichts dieser Hindernisse so vor, wie es Wolfgang Filzinger von seiner Arbeit berichtet (Wolfgang Filzinger. „Etwas über die Kino-Aufnahmen im Felde.“ Lichtbild-Bühne 8.31 (1915): 14–22, hier S. 19):

Will man gewaltige Explosionen zeigen, so hat man zu solchen Aufnahmen hinter der Front eine weit ungefährlichere Gelegenheit bei Sprengungen irgendwelcher Art, wo man den Apparat mit Tele-Objektiv vorher genau einrichten kann.

Obgleich die meisten Gefechtsaufnahmen des Weltkriegs als (nach)gestellte Inszenierungen gelten müssen und auch von Teilen des zeitgenössischen Publikums als solche erkannt wurden, fügten Filmschaffende sie in den 1920er Jahren mitunter in Spielfilme ein, um diesen eine Ästhetik des Wahrhaftigen zu verleihen.

Solchermaßen hybride Filme, die Fiktionales und Dokumentarisches mal mehr und mal weniger geschickt zusammenfügten, entstanden in verschiedenen Teilen Europas, etwa in Belgien (La Libre Belgique, 1921) Rumänien (Datorie si sacrificiu, 1926), Frankreich (Verdun, visions d’histoire, 1928) oder Deutschland (Ikarus, der fliegende Mensch, 1919). Unüblich blieb diese Praxis dagegen in den Vereinigten Staaten.

Eine virtuelle Ausstellung der Deutschen Digitalen Bibliothek

kuratiert vom
Deutschen Filminstitut

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Die Theatralität des Tatsächlichen